Wildbad
Freitag, 19. Mai 2000
Der aufkommende Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite, verwöhnte uns mit viel Sonne und Wärme und liess uns alle dem ersten Open-Air mit V-LENZ Beteiligung entgegen fiebern. Tja, wie sollte es auch anders sein, hat Petrus zu unserem Unglück ausgerechnet an diesem Wochenende wohl einen beschissenen Tag erwischt... Jedenfalls liess er die Temperaturen um die Hälfte fallen und versteckte die Sonne hinter dicken Regenwolken und gönnte uns somit kein trockenes Wochenende. Wir ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie nass es tatsächlich werden sollte...
Monsieur Maik T saß am Steuer des Audi und verzog keine Miene (im Gegensatz zu mir..) als er sich während der Fahrt genüsslich sein Bier schmecken ließ. Nach der kollektiven Empörung aller Insassen musste er sich verteidigen und überzeugte uns, dass ein Bierchen schon OK sei. Wir gaben uns geschlagen und liessen ihm seine Pulle Freiheit. Wir nagelten die A45 Richtung Süden und der Audi konnte dem Tannenbaum tatsächlich Paroli bieten. Wir hörten alle CD's aus Maik's Favoritenecke, also Notwist, Weezer, etc und er stimmte auch immer kräftig mit ein. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Stimme vom Weezer-Sänger sich haargenau so anhört als würde DeziBel singen (er ist Frontmann bei dem Projekt "Fiona Pharmacist"). Es war nur eine Frage der Zeit, dass auf der langen Fahrt Maik T's Jugendsünden und somit die 80's im CD-Player landeten. Also quälte er uns mit Nena's Greatest Hit's bis wir endlich den lang erwarteten nächsten Rastplatz ansteuerten und Lenz eine Runde Kuchen für alle gab, den Tante Weiß-nicht-mehr zum Geburtstag gebacken hatte. Kaum waren wir wieder ein paar Kilometer auf dem Highway, da fiel mir das nicht so gesund aussehende rechte Hinterrad vom Tannenbaum auf. Kurz per Handy Lenz angefunkt und wir diagnostizierten am nächsten Rastplatz einen Platten, weil er sich einen Nagel in den Reifen gefahren hatte. Igitt, Rad wechseln. Naja, wenn man ewig so viel unterwegs ist, gehört so was zum Alltag und das war ja nicht die erste Panne, die wir zu meistern hatten. Das Problem war nur, dass Lenz den Felgenschlüssel nicht gefunden hatte und die verwirrten Tankwarte nur den Kopf schüttelten und mich mit dem Hinweis auf den ADAC wieder wegschickten. Kurz bevor wir eben genau den alarmieren wollten, tauchte plötzlich doch der Schlüssel auf, also konnten wir hier doch alleine weitermachen. Hier erwies es sich wieder mal als Vorteil, die Skateboards mitzunehmen, denn Ditze und Sprinta hatten damit sichtlich Spass. Ich hätte auch gerne 'ne Runde gedreht, hielt es aber für sinnvoller Lenz beim Reifenwechsel zur Hand zu gehen, weil irgendwie sonst keiner die Ambition gezeigt hatte, dies zu tun. Beim Verstauen des Werkzeuges musste Lenz noch mal unbedingt testen was härter ist - seine Glatze oder die Kofferraumklappe seines Wagens. Naja, wer da gewonnen hatte konnte anschliessend jeder an der roten
Macke auf seiner Glatze ablesen.
Mittlerweile fuhr Andree den Audi, weil Maik T's Durst auf Bier unbezwingbar war. Da die A5 zweimal aus irgendwelchen Gründen plötzlich rechts abknickt, kann man schon mal leicht geradeaus dran vorbeifahren. Das wollte Andree auf keinen Fall zulassen und bog in letzter Sekunde rechts rein, was dem Sportwagenfahrer, der genau zu der Zeit auf der Spur war, verständlicherweise nicht gefiel. Der ging mit quietschenden Reifen in die Eisen und liess seine Wut über die Hupe raus. AAAHHHHHHH, PASS AUF!!!! brüllten wir im Angesicht des Todes. Als Beifahrer hatte ich einen Platz in Reihe 1 für dieses Spektakel und in dieser zehntel Sekunde bin ich wieder 10 Jahre älter geworden.
Die letzten Kilometer wurden per Landstrasse bewältigt. Maik fragte, ob denn wohl heute Abend auch die neuen Songs gespielt würden, was ich nicht 100%ig wusste, aber ziemlich sicher war. In dem Augenblick fuhren wir an einem Ortseingangsschild vorbei und Andree und ich amüsierten uns über den aussergewöhnlichen Namen "Engelsbrand". Maik - noch immer mit dem Kopf beim heutigen Set - hatte das nicht genau mitkriegt und fragte verwundert: "Hä? Ist das ein Song den ich noch nicht kenne?"... Oh mann... soweit isses schon. Aber ist ja auch nicht so abwegig. Könnte ein Mix sein aus "Gottes Soldat" (Engel mit der Mörderhand) und "Feuer"...*hahaha*. Eine zierliche Ausschilderung führte uns durch einen 2 km langen Tunnel und dann schliesslich zum Festival das auf einem Jugendzeltplatz stattfand. Schon von weitem konnte man die gewaltige Bühne erkennen. Es handelte sich hier um das selbe Bühnenteam wie bei dem genialen Festival in Warmbronn. Dementsprechend abgefahren und überdimensional sah die Stage aus. Der Platz war leicht aufgeweicht und schlammig von den regelmässigen Regengüssen an diesem Tag.
Nach dem ersten Überblick und der ernüchternden Erkenntnis, dass das hier eigentlich eine Goa-Party sein sollte, fuhren wir zu viert los, um die Hotel-Schlüssel zu holen. Auf dem Rückweg kamen wir dann in dem Tunnel in eine Polizeikontrolle der etwas anderen Art...
Ziemlich hinterlistig in einer (wahrscheinlich extra für diesen zweck konzipierten) Nische in dem Tunnel standen die mit drei Streifenwagen und haben da jeden angehalten, den sie greifen konnten. Nur irgendwie ticken die Uhren in Baden-Würtemberg anders. Also hier bei uns wird man angehalten und muss im schlimmsten Falle der Polizei einen blasen - ähhh, ich meine den Alkohol-Check machen. Wenn der Officer dann mal einen schlechten Tag erwischt hat, fragt er auch schonmal nach Warndreieck oder Verbandskasten. Aber hier wurde vom Fahrer (Maik's Freundin) die Papiere geprüft und anschliessend alle Insassen um die Personalausweise gebeten. Damit ist dann der Wachtmeister abgezogen, hat sich in einem Streifenwagen verschanzt und wohl (so vermuten wir) per Telefon, Computer oder sonst was geprüft ob wir nicht rein zufällig gesuchte Massenmörder oder Drogendealer sind. Zu hart.... Dann kommt auch noch dazu, dass die dafür satte 20 Minuten (!!!) gebraucht haben. Obwohl der Zeitplan des Festivals eh schon weit nach hinten gerutscht ist, brannte es mir auf der Zunge, dem Freund und Helfer mal zu verklickern, dass es da einen Gastspielvertrag gibt, in dem steht, dass V-LENZ um 23 h auf der Bühne zu stehen hat (es war kurz vor 23 h) und dass die netten Kollegen von der Obrigkeit dann gerne die Konventionalstrafe zahlen dürfen, weil die gerade dabei sind zu verhindern, dass wir den Vertrag einhalten können. Aber bevor ich weiterdenken konnte, kam dann der Kollege in Grün, händigte uns die Pässe aus und liess uns losziehen. Je später der Abend, desto klarer wurde es, dass das ganze hier eine komische Alibi-Veranstaltung war. Das Bühnenteam wollte eigentlich nur diesen Stage-Prototypen der Presse sowie potentiellen Kunden und Sponsoren präsentieren. Das Konzert und die anschliessende Goa-Party waren halb so wichtig und das hat man dann auch bei der ganzen Organisation gemerkt. Und das gute Stück, was die da präsentierten sah auch nur auf dem ersten Blick genial aus. Sehr viele Kleinigkeiten machten die Bühne eher zu einem Flop. Da zogen sich kreuz und quer Aufgänge und unter dem gewaltigem Drum-Riser war ein Raum für Instrumente und so. Das Dumme war nur, dass da nirgendwo Licht war, das heisst - erstens war da eine fiese Stolperfalle, und zweitens musste ich mit meiner Maglite im Maul die Pyro's zusammenfummeln, was ziemlich aufwendig und unangenehm war. Dann hatte der Regen die unwetteruntaugliche Bühne ziemlich heftig unter Wasser gesetzt, was nicht nur unangenehm für die Künstler sondern auch für die Ton-Leute war, die fieberhaft versuchten ihre Brocken einigermassen mit Planen abzudecken, so gut es eben ging. Über diese Tatsache konnte leider auch nicht das aus 925er Silber bestehende Amulett als Backstageausweis hinwegtäuschen.
Je später es wurde, um so heftiger sanken die Temperaturen erheblich und fanden sich doch noch unerwarteterweise ein paar Leute vor der Bühne ein. Natürlich waren alle nicht mehr so motiviert, aber die Fete must go on. Und so starteten wir das Set... zumindest versuchten wir es. Denn Sprinta hatte wohl arg mit dem DAT-Recorder zu kämpfen und spielte Song 2 an. Nachdem der Patzer dann erkannt war, spulte er das Tape und den ersten Song zurück, der dann irgendwie als "Rückwärts-Drum&Bass-Version" von Apokalyptische Verse über die Anlage schallte. Endlich konnte es richtig losgehen und ich die Anwesenden mit der Pyro-Show schicken. Bei Schwarze Wünsche liess DeziBel keine Fragen offen und bot Cuttings in Lichtgeschwindigkeit. Witzig war auch die Fratze von Andree, die als Mischung aus Konzentration und Abgehen bei Schattenboxa bei mir für Erheiterung sorgte. Dass die Freaks das Banner aufgehängt haben, ist auch zu hart, weil es von niemanden hinter den fetten Licht-Traversen gesehen werden konnte. Dann war da auch noch ein reger Fussverkehr auf, hinter und über der Bühne, den ich mir einfach nicht erklären konnte...
Hey Jungs (und Mädels), hier findet gerade eine Show statt, da läuft man nicht verwirrt zwischen rum!!! Lenz, der in seinem Unterhemdchen sichtlich im Regen litt (trotzdem hätte ich ihm den Hals umgedreht, wenn er es nicht angezogen hätte), kämpfte gegen die Naturgewalten und holte sich da den Tod oder schlimmeres. Ich hielt es für sinnvoll, aus seinem Rucksack sein Handtuch zu holen und ihm auf die Bühne zu legen. Der bedankte sich erleichtert und sang die restlichen Songs mit Handtuch auf der Glatze, im Nacken oder in der Hand. OK, Lenz hatte zwar das www.v-lenz.de -Leibchen an, aber so eine Durchsage erzielt ja eigentlich auch viel Wirkung. So brüllte ich gegen das DAT an und versuchte Lenz mitzuteilen, er solle das Publikum auf die Website hinweisen. Was mir aber wegen unbesiegbarer Lautstärke nicht gelingen sollte. Maik hat aufgeschnappt, was ich zu sagen versuchte und verklickerte Lenz, er solle die Web-Adresse durchsagen. "Yo, danke Maik. Gute Idee." erntete er dafür, DABEI WAR DAS MEINE IDEE! So.
Fahr zur Hölle war wie immer einer der letzten Songs und Ditze war in Bestform und zeigte allen, wo es zur Hölle ging... über seine Turntables nämlich. Irgendwann fiel mir auf, dass alles bunt die Bühne erleuchtete, nur die fetten Scanner nicht. Just in dem Moment, in dem die V-LENZ-Show vorbei war, gingen sie plötzlich wieder. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen den verantwortlichen Lichtmann darauf anzusprechen, der mir dann verklickern wollte, dass es sich hier um ein Strom-Problem handelt. Ok, das kann man tolerieren, seltsam nur, dass es genau bis zum Anfang der Show und unmittelbar danach auch wieder ging...
Egal, ich wollte mir nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen und checkte, ob das DAT-Tape in Sicherheit war. Ach, eine Sache fällt mir zum Thema Licht noch ein - da haben die eine wunderschöne Spiegelkugel zwischen zwei Bäume aufgehängt, was ja im Grunde eine prima Idee gewesen wäre, wenn man nicht so plinsig einen stinknormalen 100 Watt Strahler da drauf gerichtet hätte, der auch noch Publikum extremst geblendet hat. Das weiss doch jeder, dass man hier einen Punkt-Strahler verwenden muss, um den richtigen Effekt zu erzielen... *kopfschüttel*....
Nach der Show waren sich wohl alle ziemlich einig, möglichst schnell ins Bett zu kommen, da die folgende Goa-Party wohl eher eine Schlamm-Fete geworden ist. So schlugen wir unser Headquarter in der entsprechenden Pension (oder wie die Einheimischen sagen würden: Gasthaus) auf, gammelten noch ein wenig rum und fanden den wohlverdienten Schlaf. Das Frühstück war nicht gerade der Renner, aber stärkte zumindest soviel, um die Heimreise anzutreten. Wir fuhren wegen der noch fälligen Gage zurück zum biologisch umgekippten Festivalgelände und mussten feststellen, dass da doch tatsächlich einige verstrahlte Freaks immer noch zu dem verwirrten PillePalle Sound abzappelten, die da ein 50-jähriger Hippie aus diversen Klangerzeugern holte. Cool war allerdings der Live-Didgeridoo-Spieler der sehr rhythmisch und perfekt sein Instrument beherrschte.
Lenz kam verwirrt von der Gagen-Klärung wieder und stammelte: "Vier Schafe...". Wie? Was? Vier Schafe? "Vier Schafe, mann...". Ja was denn nu? Er berichtete davon, dass der Veranstalter völlig aufgelöst erzählte, dass die rumstreunenden Hunde einiger Festivalgäste in der Umgebung drei Schafe gerissen und eins in den Fluss und somit in den Tod getrieben haben. Obwohl ich ja als tierlieber Vegetarier auch sehr bedrückt deswegen war, musste ich doch schmunzeln, weil mir so was echt noch nie untergekommen war. Ausserdem muss der Veranstalter auch noch für die krepierten Viecher aufkommen. Heftig. Das taucht wohl in keiner Kalkulation eines Veranstalters auf... "200 DM für die
durchschnittlich 3,5 gerissenen Schafe des Nachbar-Bauern...".
Kaum wieder ein paar Kilometer in Richtung Heimat, suchten wir einen Citroèn-Partner, der mal der Lichtmaschine des Tannenbaums auf die Sprünge helfen konnte. Der lokale Ansprechpartner, der mehr Tankwart als Autoverkäufer oder Mechaniker war, wollte wohl kein Geld an uns verdienen und schickte uns wieder weg. Ähnlich ging es uns an der nächsten DEA-Tankstelle, die Samstags keinen Service anbieten. Buuhh! Mein Adlerauge hat aber direkt hinter der Tanke einen ADAC-Mann entdeckt, der gerade einen andere Panne verarztete. Nach kurzer Diagnose an unserem Wagen stand fest, dass Lenz einen neuen Keilriemen für seine Lichtmaschine braucht. Der Typ in schwarz-gelb wies uns den Weg zu einem Autoersatzteil-Händler, baute das Ding fix ein, fertig. Ein Hoch auf den ADAC.
Auf der Rückfahrt wurde ein Burger King angesteuert, in dem Lenz sich dem Bruchteil einer Sekunde in eine der Bedienungen verknallt hat. Während er auf seinem Big Chicken rumkaute, konnte er es gar nicht fassen, was die für wunderschöne funkelnde Augen hatte und musste es ihr auch noch anschliessend ins Gesicht sagen... Konsequent, Lenz, konsequent. Da aber die Schlange bis auf den Parkplatz reichte, konnte sie wohl nicht wirklich über das Kompliment nachdenken, sondern hatte eine Sekunde später wieder King-Pommes und Doppel-Whopper im Kopf.
Und die Moral von der Geschicht - Festival-Schafe schwimmen nicht...