Eurorock Festival, Neerpelt (Belgien)
Samstag, 5. August 2000
 
Irgendwie war es ein Gig wie jeder andere, aber irgendwie auch nicht. Es war schließlich der erste Auslandsgig. Dementsprechend neugierig und aufgeregt gingen wir in den Tag. Auch anders war, dass wir, weil der Auftrittstermin mit 12:30 h sehr früh war, schon Freitag hin und Samstag nach dem Gig wieder zurück gefahren sind. Normalerweise wird die Übernachtung ja für den Tag eingeplant, an dem auch der Auftritt stattfindet.
 
Ich fuhr zu Katja (Maik T's Freundin), packte meinen Rucksack in Ihren Audi und wurde gemeinsam mit T beauftragt, das Öl zu prüfen und ggf. nachzufüllen wenn erforderlich. Weil der 5-Liter-Kanister nicht besonders geeignet war, verursachten wir eine halbe Umweltkatastrophe und eine riesige Sauerei auf dem Parkplatz. Stirnrunzelnd mussten wir uns dann die Frage gefallen lassen, warum wir nicht den bereits angebrochenen 1-Liter-Kanister aus dem Kofferraum genommen haben, das wär doch viel einfacher gewesen... grmpf... na weil wir nicht wußten, dass selbiger existiert. Nachdem der Wagen fittgemacht war, fuhren wir zu DeziBel um hier auch Lenz und Andree zu treffen. Der Commander war durch einen anderen Job leider verhindert. Wegen extremer Antikoordination mußten wir dann wieder zurück nach Soest fahren, um einen Mixer für Ditze abzuholen. Die letzte Station vor der Autobahn sollte eine Tankstelle sein, die dann Maik T zum Verhängnis wurde - Katja entdeckte eine ellenlange fiese Schramme am linken Kotflügel und stellte ihren rückgratlosen Freund zur Rede. Der versuchte sich erst durch rethorische Hakenschläge aus der Affäre zu ziehen, musste dann aber unterwürfig den Schwanz einziehen und sich daran erinnern lassen, was er in letzter Zeit noch so alles kaputt gekriegt hat (da war die Rede von einem Klodeckel - wie auch immer er das geschafft hat...). Ich hatte dann die Ehre und das Vergnügen mit diesen Streithähnen in einem Auto zu sitzen - da knisterte die Luft vor Spannung.
 
Wo Maik T. ist, da ist auch Depeche Mode. Danach hat er dann den CD-Player mit meiner Incubus-Scheibe gefüttert und hatte anschließend alle Weezer Songs mit einer Präzision mitgesungen, die eigentlich nur der Weezer-Sänger hätte bringen können. Ein paar Kilometerchen durch Holland, dann waren wir schon in Belgien und, hoppla, da waren wir schon auf dem Festival, das war einfach. An dem Line-Up konnte man erkennen, welche Zielgruppe hier angesprochen war - äh... sagen wir mal... Zillo-Leser. Das beschreibt es ganz gut, glaube ich. Ähnlich wie auf dem Zillo-Festival im Jahr davor (siehe InsideOut - Bericht über das Zillo-Festival) waren hier wieder die abenteuerlichsten Gewänder, Frisuren und Piercings zu sehen, garniert mit bleich geschminkter und in Leichenbalsam getränkter Haut, wobei man ganz klar erwähnen muss, dass die schrägsten Vögel eher im Backstage anzutreffen waren.
 
Da die Veranstalter für uns die Backstagepässe und Verzehrbändchen für Samstag bereitgestellt hatten, hätten wir an diesem Abend nicht ein Getränk bekommen, wenn Lenz nicht, fest entschlossen und siegessicher, tief in seine Englisch-Kiste gegriffen hätte und den armen Hanswurst da unter den Tisch gelabert hätte... "Come on, who is the guy in command??" Der hat dann auch den Festival-Commander geholt, der die Ruhe in Person war und durch ein einfaches Nicken und Zwinkern seinem Untergebenen signalisierte, dass das schon ok geht. Gut gemacht Lenz! Nach einem Snack im Backstage machten wir uns auf, den Dommelhof zu besichtigen, der unsere Herbere für die Nacht sein sollte. Eigentlich handelte es sich hier um ein recht großes häßliches Hotel, daß sogar ein eigenen Eincheck-Raum für Festival-Beteiligte hatte. Hier saß eine aufmerksame ältere Frau, die mit einem abgefahrenen Flämisch-Englisch versuchte, uns zu helfen. Zu ihrer und erst recht zu unserer Verwunderung mussten wir dann feststellen, dass die Zimmer für V-Lenz erst für die darauffolgende Nacht gebucht waren (wahrscheinlich, weil der Gig eben erst am Samstag war). Langsam genervt holte Lenz den Gastspiel-Vertrag hervor, in dem er schwarz auf weiß belegen konnte, dass die Übernachtung von Freitag auf Samstag und nicht von Samstag auf Sonntag festgelegt wurde. Verwirrt versuchte die Receptionistin den "Guy in command" zu erreichen, wurde aber mit dem Versprechen auf einen Rückruf abserviert. So saßen wir da rum, vertrödelten die Zeit mit meinem Skateboard oder Katja's Fotoapparat, oder wunderten uns über die Highlights, die der belgische Fernsehnachmittag zu bieten hatte... da lief im Hintergrund eine Show, die wie eine Art Quiz mit dem Tetris-Thema aussah und "Blokken" hieß - und die war mindestens so sinnlos wie Jeopardy oder RuckZuck. In regelmäßigen Abständen hielt ein Mietwagen an, spuckte eine Handvoll Musiker aus und fuhr weiter. Ein begleitender Helfer des Festivals sprang aufgeregt in Richtung Rezeption, warf DeziBel eine flämische Frage entgegen, der damit sichtlich überfordert einfach "Ohhhjaaa" murmelte und der Typ darauf wieder wie ein geölter Blitz davonschoss. Wer weiß, wo Ditze den jetzt hingejagt hat? Ein weiterer Untertan des kommandierenden Kapitäns konnte uns dann die erfreuliche Botschaft überbringen, dass wir in einem weitaus schönerem Alternativ-Hotel untergebracht werden. Er fuhr vor, um uns zu diesem Tausend-Sterne-Hotel zu bringen, das nicht nur schöne antike Möbel und eine verspiegelte Decke im Bad, sondern tatsächlich auch einen Whirlpool zu bieten hatte. Leider nur auf Andree's Zimmer und da wir auch am nächsten morgen ziemlich unter Zeitdruck standen, konnte dieses Privileg nur Andree im Schnellwaschgang genießen. Als der Hotelier uns dann zu einem Restaurant gebracht hat (er fuhr einen Jaguar...) und wir uns extrem kulinarisch den Wanst vollgeschlagen haben, bekamen wir einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil das wohl für den Veranstalter nicht billig war - aber der war schneller wieder verflogen als Maik T's Austern die Kehle hinunterglitten... Obwohl wir alle bis zum Platzen gefüllt waren, mussten wir unbedingt die Sache bis aufs Letzte ausreizen und ließen dann noch dicke Eisbecher und belgische Waffeln kommen (mir läuft das Wasser schon wieder im Munde zusammen, wenn ich nur an meinen fetten Caramel-Becher denke...). Lektion: Kikkerbillen sind Froschschenkel - wenn Lenz die tatsächlich geordert hätte, hätten wir uns wohl kollektiv von dem Tisch distanziert.
 
Nach dem Essen konnte sich eigentlich keiner so richtig bewegen, aber wir wollten natürlich auch nicht zu einer "normalen" Zeit ins Bett, sondern feiern, wenn das irgendwie möglich sein sollte. Also fuhren wir zurück auf das Festival, wo wir feststellen mussten, dass die Leute da vor Ort irgendwie anders "feierten"... oder... irgendwie auch gar nicht. So blieb uns nur, nachdem DeziBels Freundin zum hundertsten Male ihren Tampon gewechselt hat, wieder zurück ins Hotel zu fahren, wo das typische Hotelzimmer- Rumhängen eingeleitet wurde. Diese Anti-Feier-Gothik-Leute regten Lenz zu einem nachdenklichen Seufzer an: "Ich freu mich auf 'lebendes' Publikum, nächste Woche in Stemwede...". Durch Kopfnicken signalisierter jeder Anwesende seine uneingeschränkte Zustimmung.
 
Den neuen Tag begrüßte Lenz dann mit unglaublichen Furz-Sonaten und ich wußte nicht so genau, ob ich staunen oder mich übergeben soll. Wir sind ziemlich früh aufgestanden, weil wir relativ früh auf dem Gelände sein mussten und unser Frühstück nicht verpassen wollen. Die Hotelbetreiber umsorgten uns liebevoll mit allem, was zu einem ordentlichem Frühstück gehört (Lektion 2: Griggeleier = Rühreier) und Andree hätte es fast verpasst, weil er wohl eher auf das Essen als auf den Whirlpool verzichtet hätte.
 
Pünktlich wieder auf dem Festival hatten wir dann eine grauenvolle Begegnung. Wir hatten ja schon eine Menge schräge Vögel am Vortag gesehen, aber der hier brach sämtliche Regeln des guten Geschmacks. Eine angestaubte Flokati-Jacke über den Schultern und die 70er Sonnenbrille sind ja noch zu verschmerzen, aber daß er seine John-Holmes-Riesen-Genitalien extremst in eine viel zu enge Radfahrer-Hose presst, auf das auch jeder die zusammengequetschte Anatomie seines Önsels erkennen kann - das war zu viel! Dafür ein dickes IGITT!
 
Da der Gig um die Mittagszeit stattfand, erübrigten sich die Pyro's. Und weil Schwarzer nicht da war, bediente ich wieder das DAT-Tape. War ja nicht das erste Mal, trotzdem muss ich mich immer megakonzentrieren, weil ja jeder kleinster Fehler für jederman zu hören ist. Als der Gig startete, waren schon erstaunlich zahlreiche Gäste vor der Marquee-Bühne, die Lenz vor dem ersten Song ansprach und die Frage stellte, ob er englisch oder deutsch mit Ihnen reden sollte. Man einigte sich auf die englischen Ansagen, die definitiv sehr ungewohnt waren, sowohl für Lenz als auch für den Zuschauer/-hörer.
 
Besonders hervorzuheben ist hier das nüchterne "You can dance if you want to!", das bei diesem Publikum auch multilingual nicht funktioniert hätte, weil die eben einfach nicht tanzen und abgehen, sondern nur anmutig zuschauen. Andree's Percussion Sound war genial, und die Art, wie er spielt klingt von Show zu Show geiler - da konnte ihn noch nicht mal der halb auseinanderfallende Stick aufhalten, denn bei den ersten Schlägen auf die Roto-Toms flog ein Stück Holz spektakulär quer über die Bühne. Ziemlich früh bemerkte ich, dass Lenz's Stimme angeschlagen war. Er kämpfte gegen die Heiserkeit, indem er wieder die Hand in den Rücken stemmte, als ob seine Stimme aus den Nieren zu pressen sei. DeziBel's DJ-Sound prallte so genial von den Zeltwänden ab, dass man das Gefühl hatte, er kommt aus allen Richtungen! Das hat geschickt *staun*! So nach der Hälfte des Sets entschieden sich die Leute zu bleiben und mit dem Beat zu wippen, oder naserümpfend das Zelt zu verlassen als Lenz "Gottes Soldat" ankündigte: "For all the ladies in the .... äh... tent!". Als es wieder härter wurde und Lenz in die DeziBel-Anbetungs-Pose bei DonnersNacht ging, hatten die letzten Zweifler das Zelt verlassen und die wahren Fans Blut geleckt. Und das Beste - die kannten "Henker"! Hier hat man wieder gemerkt, dass definitiv Leute vom letzten Zillo-Festival da waren, die den Refrain stimmgewaltig unterstützten.
 
DeziBel erteilte wieder eine so geniale Highspeed-Kratzer-Lektion, dass die Leute vor Begeisterung schrien, klatschten und durchdrehten! Waver, Gothics, dunkle Gestalten, für die DJ-Kultur und HipHop ein Fremdwort zu sein schien, flippten plötzlich bei den Scrachtings völlig aus und belohnten den Song mit einem langandauernden ausgiebigen Applaus. Entsprechend angestachelt begleitende DeziBel den Anfang von "Fahr zur Hölle" mit noch nie da gewesenen Kratzern, die nicht nur mir Freude bereiteten. Auch Andree schaltete einen Gang höher und holte das Äußerste aus seinen Percussions. Beim letzten Track (Teufelsliebe) verwirrte ein unüberhörbarer Patzer sämtliche Leute auf der Bühne - Andree brüllte im Affekt ein "Was hast du getan?" statt des eigentlichen "Wann ist es soweit?", aber sowas bringt die Jungs eher zum Lachen als aus dem Konzept.
 
Nach dem doch unerwarteterweise sehr erfolgreichen Auftritt versammelten wir uns im Backstageraum und gammelten noch vor uns hin. Der ein oder andere organisierte noch etwas Food - unter anderem die ekligste Bratwurst, die ich je gesehen habe (die war so schlimm, die hat noch nicht mal Maik T gegessen) - und Andree fragte mich geschafft mit einem Handtuch um den Nacken: "Wie war denn der Gesang von "Gottes Salat"?" "Andree, der Song heißt "Gottes Soldat"..." Wir kriegten uns kaum mehr ein vor Lachen. Unsere sorgsame Ansprechpartnerin von der Festival-Leitung drückte uns kurz vor der Abreise noch ein Gästebuch in die Hand, in dem wir uns verewigen konnten, wenn wir wollten, aber das, was die Jungs da für eine Scheiße reingeschrieben haben, spottet jeder Beschreibung, so peinlich war das. Der Spruch "Hänsel und Gretel verwirrten sich mit Alt." war schon ganz weit hinten, aber noch lang nicht so peinlich wie die äußerst übel gezeichnete Interpretation eines nackten weiblichen Körpers beim Urinieren mit dem Titel "Pisse 2000".... was soll ich dazu noch sagen? Na gut, "Rock'n'Roll will never die!" von Tiamat und andere Beispiele waren auch nicht sonderlich geistreich. Und so verabschiedeten wir uns mit einem lachendem (weil der Gig ganz cool war) und einem weinenden Auge (weil das da bei den Gothic-Leuten normal ist) vom ersten V-LENZ-Auslandsauftritt. Korrekt.
Mehr davon!
 
PS: Nächstes mal nehm ich das Zimmer mit Whirlpool...