Open Air, Stemwede
Samstag, 12. August 2000
 
Die Anreise zu diesem Festival-Gig gestaltete sich diesmal etwas anders als bei den üblichen Terminen, da das gesamte Team einzeln aus allen Himmelsrichtungen gen Stemwede fuhr, um sich am späten Nachmittag, naja - sagen wir besser früher Abend, auf dem Festival-Gelände zu treffen. Der Commander hatte einen Tag zuvor einen Mischer-Job mit den Donots in Rostock, DeziBel fuhr ein separates Auto, da er anschließend noch ein Auflege-Booking für den späteren Abend hatte, Maik stand am Vorabend noch mit Philipp Boa im tiefsten Süden auf der Bühne und ich verbrachte vor dem Gig eine luusche Urlaubswoche mit Lenz an der Ostsee. Wir kamen also direkt von der Küste und Andree brachte den Tannenbaum von zuhause mit.
 
Schon während der Anreise ergab sich, dass Maik es nicht schaffen würde, rechtzeitig vor Ort zu sein, was Lenz nicht so einfach wegsteckte, sondern eher wie einen Kloß im Hals den ganzen Tag mit sich rumtrug. Da die Veranstalter dieses Festivals quasi Blutsbrüder von den Kollegen aus Staasforsten sind, wussten wir, was wir in etwa zu erwarten hatten (siehe InsideOut Story über Staatsforsten) - eben so ein uriges, kleines Stoppelfeld-Festival... An der Location angekommen mussten wir feststellen, dass es nicht klein und auch irgendwie anders war. Der Wegbeschreibung folgend kamen wir an eine Biegung, an der uns ein paar steinalte, so gar nicht nach Festival-Hilfskräfte aussehenden Greise kurz anhielten und nach der Identifikationsfrage dann passieren ließen. Lenz fragte nach Durchfahrtsscheinen oder ähnlichem, was aber sofort abgewinkt wurde und es würde schon so klar gehen. Hmm, seltsam. Aber ok, wir fuhren also auf den so genannten Helferparkplatz, der in Wahrheit eben das langerwartete Stoppelfeld war und hörten in der näheren Umgebung etwas, das wie ein Soundcheck klang.
 
Als erstes steuerten wir den Gartenpavillon an, der FOH und Light-Steuer-Zeugs vor eventuellen Regen (der aber zum Glück ausblieb) schützen sollte. Lenz fragte den Lichtmann nach Backstagebereich, Backstagepässen und so. Der beschrieb einen weiteren Pavillon links neben der Bühne und konnte sich
auf die Frage nach dem Veranstalter, bzw. dem, der hier die Kontrolle hat, nur den Bauch vor Lachen halten... "Kontrolle?? Haha, Kollege, Du bist hier in Stemwede! ....tse.... Kontrolle!... haha.... *Kopfschüttel*..."
 
Schluck. Was sollte das wohl zu bedeuten haben? Wir drängelten uns durch die zahlreichen Gäste auf dem Platz und staunten über die Grösse des Festivals und die in Relation dazu viel zu kleine Bühne. Ausserdem waren die Lautsprechersysteme so komisch halb auf die Bühne aufgebaut, sodass der Einblickwinkel direkt auf die Bühne sehr eingeschränkt war (Hallo PA-Leute, die Dinger gehören neben die Stage, nicht darauf oder davor.). Uns begegneten eine Menge Leute mit Backstagepässen, daher waren wir auch ein wenig verwirrt, als wir vor dem Backstagebereich standen, keinen breitschultrigen Aufpasser oder sonstige Authorität-ausstrahlende Persönlichkeiten vorfanden, den das auch nur ansatzweise interessiert hätte, wer wir sind, ob wir da rein dürfen oder nicht. Nicht gerade besonders beruhigt im Hinblick darauf, dass wir gleich unser Equipment hier rein tragen und das unbeaufsichtigt auf einen listigen Belzebub wartet, um geklaut zu werden.
 
Dann die erste Erleichterung - da ist Kruse! Unser Lieblingsrocknrollmusikbusiness - promotionmanagerwebmasterfetenmann! Dann der erste Schock - der hat ja die Haare ab. Zumindest ich hatte ihn noch nicht mit der ihm durchaus stehenden schwiegersohntauglichen Frisur gesehen. Dann haben wir noch Mirko als neuen Headshock-Mitarbeiter kennengelernt, dicht gefolgt von dem Veranstalter (ihr wisst schon, der, der eigentlich die Kontrolle haben sollte, aber weil hier die Betonung auf "dicht" liegt, war die Kontrolle schon lange in Bier ertrunken...). Lenz sprach ihn auf die erforderlichen 8 Backstageausweise an, woraufhin der schweigend in einen Kasten Bier griff und Stefan das Gebräu ohne Pausen zwischen den Worten anbot: "Hier.. *hicks*.. mirrrtrinkenersmaaan Bierchen.."
 
Uii, das kann ja heiter werden.
 
Irgendwann ist uns aufgefallen, dass da immer noch (es kam mir vor, als seien schon anderthalb Stunden vergangen) der Soundcheck vollzogen wurde. Na gut, man muss auch gestehen, dass diese Folk-Combo mit Violine und Didgeridoo, etc schon etwas aufwendiger war, als andere. So langsam trudelten alle anderen ein, was jedes mal mit einem Gang zum Auto verbunden war, weil Lenz die coolste Errungenschaft des Urlaubs präsentieren mußte - eine Evil-Totenkopf-Toilettenbürste! Fest verplant für das neue Studio ist das auf jeden Fall die groovigste T-Bürste, die meine ungläubigen Augen je gesehen haben. Aufgrund der zeitlichen Verzögerung kristallisierte sich langsam heraus, dass DeziBel wohl nicht mehr zu seinem Auflege-Termin kommen würde, was ihm definitiv nicht besonders schmeckte, also schlenderten wir alle erstmal zum Backstage-Futterplatz in dem angrenzenden Schiessheim und bedienten uns reichhaltig an dem relativ einfachen Buffet.
 
Irgendwann ging dann alles ganz schnell. Band vorbei, Umbaupause, Banner aufhängen (was viel zu tief und somit ausserhalb der Sichtweite für jederman war...), Pyro-Stuff aufbauen, Soundcheck. Während ich die Stationen mit Theaterblitzen etc bestückte, wurde ich von einigen Freaks im Backstage beäugt, als würden Junkies dabei zuschauen, wie einer den größten Joint des Jahrtausends baut. DeziBel versorgte mich dabei mit lecker kühlem Getränk (Danke Ditze) und ich bedankte mich dafür, indem ich das tonnenschwere Turntable-Case mit auf die Bühne schleppte. Der Abend war schon so weit fortgeschritten, dass ich mich richtig auf die Pyros freute, da diese mal wieder richtig nett zur Geltung kommen sollten. Beim Aufbauen versuchte ich einen in Leder gekleideten sternhagelvollen Rocker, der gerade wegen Warp-Kern-Bruch erhebliche Schwierigkeiten hatte, seine Zigarette erfolgreich zu kurbeln, darauf aufmerksam zu machen, dass er sich am Bühnenrand gefährlich nah an der Pyrotechnik befindet und forderte ihn höflich auf, doch vorsichtig zu sein. Der murmelte irgendeinen Quatsch während er das Blättchen mit seinem Sabber befeuchtete, dass er das ja auch machen würde und spielte zwei Akkorde Luft-Gitarre... Ähh, PYRO... Feuer, Bang..., nicht Gitarre spielen... Der Typ hat nicht ein Wort davon verstanden, was ich ihm erklärte. Naja, in der Hoffnung, dass sich sein Bewusstsein wieder einschaltet, machte ich weiter. Ausserdem kletterte da in regelmäßigen Abständen so ein älterer bärtiger Hippie auf die Bühne und moderierte durch das Programm. Dabei wußte keiner so genau, wer das ist und was das sollte. Dann entschloss er sich auch mal mitten im Set die aktuelle Band als (ziemlich grobkoordinierter) Tänzer zu unterstützen.
 
Als die Bühne soweit war und Schwarzer den knappen Soundcheck vollzogen hatte, ging es los. Ich musste noch eine andere Schnapsleiche daran hindern, mit seinem Kopf auf den Pyro-Stationen zu schlafen, aber dann hatte ich endlich grünes Licht. Bei fortschreitender Dämmerung kamen die Blitze bei Apo Verse mal wieder richtig geil; zufrieden lehnte ich mich zurück und genoss die Show. Zwischendurch checkte ich noch mal vor der Stage, ob der Commander den Sound hingekriegt hat, aber der hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Wieder hinter (neben) der Bühne angekommen konnte ich meinen Augen kaum trauen, aber hier standen schon bei den ersten Songs Stagediver auf den Monitor-Boxen, die einen Augenblick später wieder in die Menge tauchten und gemeinsam mit dem restlichen Publikum total ausrasteten! Mephistohaft quasi.
 
Bei "Der Schmerz sitzt tief" (schon lange nicht mehr gespielt - schon richtig vermisst..) stemmte Lenz wieder die Hand in den Rücken, um den anstrengenden Refrain rauszudrücken und wie jeder erkennen konnte - der Schmerz saß tief. Nur bei DeziBel nicht, der diesen Song wohl auch noch ganz weit oben auf seiner Favoriten-Liste stehen hat. Bei Schattenboxa mühte Andree sich ab, die Doppler über sein Djembe-Microphone mitzusingen, was ziemlich behämmert aussah - naja wenigstens auf der Bühne hat man was davon gehört. Sichtlich angestachelt von dem genialem Publikum spielte Lenz mit dem selbigen in den Pausen ein wenig: "Macht mal Lärm da hinten!" war von ihm zu hören und die Antwort war so laut, wie er sich das wohl gewünscht hatte, korrekt!. Nachdem ich ein einfaches A4-Blatt mit einem großen "WWW" bekritzelte und Lenz's Aufmerksamkeit einzufangen versuchte (DeziBel lachte sich krumm und brüllte: "die Witzigsten Werbespots der Welt???"), er dann endlich das Papier sah und wußte, worauf ich hinaus wollte, verkündete Lenz in einer der Pausen, dass man auf virtual-volume.com für "In Space" voten kann, was uns einen TV-Auftritt bei NBC einbringen könnte, wenn der Song als Gewinner hier hervorgeht. Beim Publikum hat er auf jeden Fall gewonnen, was man auch von "Kann ich ne rocken lassen?" behaupten muss - als Weltpremiere kam der Track verdammt gut an, obwohl Andree total verwirrt zu mir schaute und aufgelöst stammelte: "Ich weiß nicht, was ich machen muss, ich weiß nicht was ich machen muss...!!" - dabei hat Lenz ihm kurz zuvor noch erklärt, welchen Part im Refrain er hier zu übernehmen hat. Er brauchte wahrscheinlich nur einen kurzen Reminder, denn nach meinem Zuruf "Ja du kannst!" wußte er wieder, was geht und konnte ihn dementsprechend rocken lassen. Highlight - obwohl einer der luuschesten Songs - ist und bleibt Gottes Soldat. Erst recht, wenn die Jungs unerwartet von einer attraktiven begabten Tänzerin aus dem Publikum unterstützt werden. Und die gab alles. Ziemlich düster gestylt schüttelte die alles, was sie zu schütteln hatte, ging aber nicht wirklich auf Lenz's Versuche ein, Punkte zu machen. Zum glorreichen Ende des Tracks flüsterte Sie ihm aber irgendetwas ins Ohr, was ihn sichtlich die Fassung verlieren ließ und sein Punktekonto erheblich aufzufrischen schien. Das ist sogar der jaulenden Meute vor der Bühne aufgefallen, die dann durch ein lautstarkes "Ausziehen! Ausziehen!" freien Blick auf ihre weibliche Anatomie forderte. Aber bevor ein Mops an die frische Luft kommen konnte, verschwand Sie auch schon wieder in der Menge.
 
DeziBel verkrampfte witzig vor Konzentration sein Gesicht, aber dafür wurden wir bei Henker wieder mit Scratchings belohnt, die drohten, die Schallmauer zu durchbrechen - Ditze ist halt The Law! Fahr zur Hölle war wieder der Abgeh-Höhepunkt nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne. Ein grobmotorischer Fan/Stagediver fand den Weg in die Menge nicht mehr so ganz, dafür aber zielsicher mit seinen Stiefeln die Pyro-Stationen und -Verkabelung. Jeder Tritt tat innerlich so weh, als hätte er meinen Magen erwischt - dabei gehören die Dinger noch nicht mal mir! Ist wahrscheinlich einfach die Sorge, dass das Equipment aufgrund technischer/mechanischer Fehler nicht mehr mitmacht...
 
Nach dem Set saß Lenz keuchend, in ein Handtuch eingewickelt, auf einer Treppe und musste sich von einem Kollegen im Backstage die Ohren voll labern lassen. Er winkte ab und bat ihn, die Diskussion nach den Zugaben weiter zu führen. Weil die tobende Menge die Jungs nach "Schriften" immer noch nicht gehen lassen wollte, musste der selten gespielte, aber immer wieder gerne hervorgekramte Not-Track "Feuer" ran. Ich wette, Schwarzer flucht jedes mal, wenn er - seine Klamotten schon fast gepackt - das DAT-Tape doch wieder am besten in 2 Sekunden zurecht spulen muss. So. Nun war aber wirklich Schluss, denn es gibt schließlich keine weiteren Tracks. Lenz stürzte erschöpft in die Arme einiger Lokalpresse-Vertreter, während ich das Equipment von der Bühne holte. Nach Rumhängen und einem letzten Blick auf das reichhaltige Angebot der Stände (Konsuuum! Haha), warfen wir alle noch mal ein Blick auf das Techno-Ambient-Goa-Trance-Weiss-Nich-Genau-Schade-Kein-Drum-and-Bass-Zelt und mussten zu unserer Verwunderung feststellen, dass das Festivalgelände hier ja tatsächlich noch mal so groß ist, wie vor der Live-Bühne - beeindruckend.
 
Da irgendwer (ich weiß heute noch nicht wer das verplinst hat) es nicht hingekriegt hat, es ordentlich abzuklären, wo das V-LENZ Team die Nacht verbringen wird, hatten alle anderen Bands ein Hotel - nur V-LENZ nicht.
 
Noch nicht mal eine geeignete Gelegenheit zum Campen wurde hier geboten, wie wir das eigentlich von Staatsforsten her kannten (oops, habe ich gerade "geeignet" gesagt?). Da ich viel zu nüchtern für eine Übernachtung in meinem Auto gewesen bin und ich dadurch den ganzen nächsten Tag wohl wie ein Zombie aufgrund derben Schlafmangels rumgelaufen wäre, entschied ich mich, wie DeziBel, den Sonntag nicht so zu opfern, sondern noch in der selben Nacht die Heimreise anzutreten.
 
Im Nachhinein berichtete man mir, dass Andree halb im Auto, halb auf dem Stoppelfeld neben seinem Erbrochenen übernachtete und Lenz es tatsächlich schaffte, seinen heiligen Eid (ich zitiere: "Ich werde so lange nicht mehr onanieren, bis mir eine Frau das Zeug abpumpt!") einzuhalten und noch in der selben Nacht der Schwur seine Gültigkeit verlor, in der er ihn aussprach...
 
Rückblickend sehen wir hier auf ein Konzert zurück, dass abgehtechnisch definitiv ganz weit vorne war. Respekt, Stemwede!