BC Club, Ilmenau / Thüringen
Freitag, 6. Oktober 2000
 
Ein gediegener Clubgig stand auf dem Programm und da der Osten rockt, blickten wir voller Erwartung gen Ilmenau. Einigermassen pünktlich waren wir bereits auf der Autobahn und ich musste feststellen, dass das Team immer mehr zusammenzuschmelzen schien, da wir nun schon mit einem Auto auskamen. DeziBel versüsste uns die lange Fahrt mit den Latest HipHop Tunes, die er am Vorabend auf ein Mixtape gebannt hatte und sogar Lenz schien die Fahrt derbe zu lange zu gehen als er mich fragte: "Early, du hast doch sonst auch immer Kekse oder so was mit, oder nicht?"
 
Tja, normalerweise stopfe ich mir auch immer so'n Zeug in den Rucksack, und ich hätte mich gerade auch über feste Nahrung gefreut, aber heute hatte ich ausnahmsweise leider nix mitgebracht und so mussten wir an den Flaschenhälsen unserer Getränke lutschen...
 
Etwa nach der Hälfte der Strecke kamen wir in einen Stau und zwischen die allgemeinen Seufzer im Auto mischte sich ein Einwand von Lenz, der meinte ganz froh über den Stau zu sein, da wir wahrscheinlich eh viel zu früh an der Location ankommen werden. Äh... Ja.. Habe ich nicht ganz verstanden, aber ok (Blick wieder nach unten und Konzentration für die Lektüre in meiner Hand). Dann tauchte im Stau links neben uns plötzlich ein Transporter mit einer Handvoll angeheiterter Fussballfans (oder war es ein Kegelclub?) auf und reichte mal eben pauschal vier Pullen Bier zum LKW-Fahrer, der unmittelbar vor uns fuhr. Das sorgte natürlich für pures Entsetzen und neidische Buhh-Rufe in unserem Vehikel, denn die meisten Mitfahrer wünschten sich auch so ein Gebräu in der Hand. Nach diversem Hupen, Bitten, Betteln (Hilfe, wie erniedrigend...ok, ok, es war ganz cool...) reichten Sie dann während der Fahrt (!!!!) bei Stuntbedingungen (10 km/h) einen Becher mit Orangensaft. O-Saft? Ahh, verstehe, die eigentliche Zutat sollte erst nachträglich dazukommen, also goss der lustige Kollege von nebenan aus der offenen Tür hängend einen gewaltigen Schluck Wodka dazu und einen noch viel grösseren über Lenz's Hand auf die Autobahn. Irgendwie blieb es dann bei Andree hängen, diesen Becher mit einer echt fiesen Mischung zu leeren und somit waren bei ihm schon vor den Ankunft alle Lampen an.
 
In Ilmenau angekommen mussten wir an einer Tankstelle nach dem Weg fragen, weil wir von der Autobahn aus von der schriftlichen Wegbeschreibung abgewichen sind, um eine Abkürzung zu fahren. Der Tankwart verwies uns unfreundlich auf die Ausschilderung der technischen Uni und wollte uns so schnell wie möglich wieder loswerden. Aber ein Biker, der das Szenario mitbekam, bot uns an, ihm zu folgen, er würde uns den Weg zeigen. Also knatterte der auf seiner Enduro über das fiese Kopfsteinpflaster voraus. Wir wollten uns noch für die freundliche Wegweisung mit Gästelistenplätze für heute Nacht bedanken, aber gerade angekommen, brauste der Kollege winkend davon. Auf der Fahrt sind uns noch einige Papp-Schilder aufgefallen, auf denen der Weg zum bi-Club ausgewiesen war. Nein, das hat nichts mit sexuellen Vorlieben zu tun, sondern jeder Block hat auf dem Campus seinen eigenen Club im Keller (Block B = bb-Club, Block C = bc-Club, usw.), aber da ergeben sich noch andere hübsche Club-Namen... (bh-Club... *haha*).
 
Als wir dann am bc-Club den Eingang entdeckten, fiel uns auch sofort der erste Highlight des noch frühen Abends ins Auge: Selbstgemachte DIN A3 Plakate mit dem V-LENZ-Logo und dem Untertitel "Rap with the Devil!". Irgendwie schmunzelten wir, weil es ja sich ja schon ein bisschen kitschig anhört, aber so verkehrt war es dann ja auch nicht. Lenz war fest entschlossen, nach dem Gig so ein Plakat mitzunehmen, aber ob das wirklich einer gemacht hat, weiss ich gar nicht (Sach ma Lenz, haste dran gedacht??). Dieser Keller-Club machte seiner Bezeichnung alle Ehre und hatte alles, was so eine Location brauch - viele Sofas und gemütliche Atmosphäre bei niedriger Deckenhöhe. Sofort wurden wir freundlich von einem zuvorkommenden Team und einem heissem Kaffee begrüsst, den Lenz missbrauchte um eine Paracetamol runterzuspülen. Eine weitere Kapsel Wick Day Med wurde bereitgelegt und ich wunderte mich über dieses Doping - es hatte ihn wohl doch stärker erkältungstechnisch erwischt, als angenommen.
 
Veranstalter, Tonmann, Lichtmann waren alle gut drauf und machten einen guten Job. So war der Aufbau und der anschliessende Soundcheck easy und frei von Stress. Da stand ein interessanter Selfmade-DJ-Tisch auf der Bühne - aus robustem Holz gebaut und unter der Deckplatte mit einem halben Dutzend Beton-Platten beschwert; Respekt! Nur ein wenig hoch war der, deshalb brauchte Ditze irgendetwas zum draufstellen. Da der entsprechende, umgedrehte Bierkasten etwas zu hoch war, hat sich Ditze einfach IN den Kasten gestellt - ja, wirklich, rein eben, was nicht allzu ungefährlich war, da er sich keinen Zentimeter bewegen konnte. Der Lichtmann checkte die Ausrichtung seiner Spots und fragte DeziBel, ob er genug sehe, worauf der coolste DJ der Welt zur allgemeinen Belustigung aller Anwesenden entgegnete: "Ne, is schon in Ordnung, ich erkenne meine Platten am Geruch..! Ehrlich wahr Mann!" Meine Mission war mal wieder die Bedienung des DAT-Tapes und mittlerweile wird auch das Routine für mich. Da war eine leichte ID-Verwirrung auf dem zweiten Tape, aber auch das hat ganz gut geklappt.
 
Nach dem Soundcheck zeigte uns der Veranstalter unsere Unterkunft, die "nur um die Ecke war". Da diese Beschreibung sehr viel Spielraum für verschiedenste Definitionen zulässt, mussten wir feststellen, dass "nur um die Ecke" auch ein viertelstündiger Spaziergang durch die Kälte sein konnte. Wir waren in einer einfachen durchschnittlichen Jugendherberge untergebracht, die zum Glück nicht in der benachbarten Plattenbau-Siedlung war, sondern jüngeren Ursprungs. Wir stiefelten also wieder "um die Ecke" zum bc-Club, wo ein leckeres Süppchen auf uns wartete (einfach, aber lecker - Kompliment an die Köchin!). Eigentlich kennt man solche Rituale nur vom weiblichen Geschlecht, aber Lenz fragte Andree ganz locker, ob er mitkommen würde - kacken! Andree (schon ziemlich dicht vom Wodka und diverser Biere) antwortete: "...ich habe gerade keinen mentalen Zugriff auf meinen Darm... *hicks*" - ist aber dann doch mitgegangen... Hilfe, jetzt scheissen die Jungs schon Stereo!
 
Langsam, aber stetig kamen die Gäste, aber der Gig startete erst kurz vor 0 h. Für einen Club-Gig ganz schön spät, aber das scheint da wohl so üblich und ganz normal zu sein. Der Sound war satt, das Licht ok und die Leute vor der Bühne machten auch schon ab der zweiten Nummer ganz cool mit. Das lange Sprach-Sample in der Mitte von "Hauch des Todes" wurde von Lenz' Lippen nachgesprochen und zum ersten Mal kam es mir vor wie Pantomime oder Augsburger Puppenkiste. Ich hatte mit Lenz schon vor zig Gigs abgesprochen, dass ich die Tracks starte, sobald er den Song angesagt hat. Nur das ist halt bei den unberechenbaren Sprüchen nicht immer ganz einfach. So kündigte er die nächste Nummer an und beendete die Ansage mit "... für die ist es MEPHISTOHAFT...!" - mein Finger wanderte zielsicher auf den Startknopf des DAT-Players und Lenz erzählt plötzlich weiter mit "..., aber...." - der Track fängt an und schneidet seinen Satz gnadenlos ab. Oops.
 
DeziBel überzeugte mal wieder neben den himmlischen Kratzern heute mal wieder mit göttlichen Dopplern am Mikro, selbst wenn es nur ein bestätigendes "Joajaahhh" zwischendrin ist. Ab und zu warf Andree einen flehenden Blick nach hinten, weil die Refrains mit nur einer Stimme etwas zu dünn klangen, aber mit Ditze's Unterstützung wieder voll und deftig waren. Obwohl DeziBel's und Andree's Stimme sehr gut zusammenpassen, war der Refrain von Gottes Soldat nur ein besseres Katzengejammer, wofür Andree nach der Show die Verantwortung übernehmen wollte, aber sonst hatte es wieder derbe Spass gemacht, ihm zuzuschauen, weil seine gute Laune akut ansteckend war. Nach der Hälfte des Sets hörte ich erste Schwächen in Lenz's Gesang und auch die anderen kämpften mit den Konsequenzen einer Erkältung. Aber im DJ-Part hatte Lenz wieder ein paar Sekunden zum Verschnaufen, auch wenn seine an dieser Stelle typische DJ-Anbetung etwas zu übertrieben rüberkam - auch wenn wir im Osten waren, Mekka war weit weg. Die Bässe sammelten sich irgendwie total geil hinter dem Mischpult, sodass glatt meine Hosenbeine bei jedem Bass angenehm flatterten. Der Pernod, der zuvor Andree's Kehle hinunterfloss, schien zweifellos seine Trommel-Timing-Gehirnhälfte angegriffen zu haben, aber die kleinen Patzer bei "Fahr zur Hölle" hab wahrscheinlich nur ich gehört. Und schon wieder hat Lenz vergessen, den letzten Song anzukündigen... das führte natürlich wieder zur totalen Verwirrung - "Wie? Schon vorbei?". Da kommt beim Zuhörer/Zuschauer natürlich nicht das typische jetzt-geh-ich-nochma-richtig-ab-Feeling auf und so kam dann die "Die Schriften" eher einfach dahinterhergedudelt... Schade eigentlich. Dennoch waren die 'Leude' vor Ort ganz zufrieden und gingen nicht sofort nach Hause, sondern liessen sich von einem echt guten BigBeat-DJ die Ohren massieren. Nicht nur, dass der echt guten Sound aufgelegt hat, auch seine Mixe waren preisverdächtig. Bei manchen Songs feierten wir alle zusammen auf der Tanzfläche ab - natürlich kam keiner an den genialen Tanz-Style von DeziBel auch nur ansatzweise ran - Olivia Newton-John wär die Vorfreude an den Schenkeln runtergelaufen bei dem Anblick, ehrlich!
 
Selten sieht man alle zusammen, das ganze Team so ausgelassen feiern. Hat richtig Spass gemacht. Und an dieser Stelle muss noch mal ein Lob Richtung DJ gehen, denn wer es schafft, fast alle Anwesenden bei Madonna zappelnd auf der Tanzfläche zu haben, hat es wahrhaftig verdient! Wir blieben bis zur endgültigen Schliessung und freuten uns auf unsere Betten, auch wenn Andree (seines Zeichens längster der Truppe) aus Platzgründen entweder diagonal oder in Embryonal-Stellung pennen musste. Ich nahm irgend ein verwirrtes Gelaber zwischen Andree und Ditze mit in meine Träume und schlief wie ein Stein.
 
Die Weck-Funktion eines Handys holte uns ein paar Stunden später wieder aus dem Schlaf, aber noch lange nicht aus dem Bett. Schwerfällig standen wir dann doch auf und quälten uns ins Bad und in unsere Klamotten. Lenz suchte nervös und verzweifelt eine seiner Kontaktlinsen, die DeziBel nach einer gemeinsamen, langen, ausgiebigen Suche dann in tausend Teile unter dem Tisch fand. Da alle anderen noch Restalkohol im Blut hatten und Lenz sein Augenlicht auf eine Seite reduziert hatte, musste ich den Tannenbaum nach Hause steuern, aber zuvor wartete ein liebevoll vorbereitetes Frühstück im bc-Club auf uns. Frisch gestärkt verabschiedeten wir uns nach einer gepflegten Konversation mit dem Veranstalter und fuhren gen Heimat - wieder mal mit dem bestätigten Gedanken, dass der Osten rockt. Daumen hoch!