Cult, Arnsberg
Montag, 23. Oktober 2000
 
Es ging rum wie ein Lauffeuer. Das "Cult" macht zu! Der im wahrsten Sinne des Wortes cultigste Laden der Welt, der es schon seit Jahren schafft, uns mit einer heftigen Crossover-Mischung von WiseGuys bis Machine Head zu erfreuen, steht kurz vor dem behördlich angeordnetem Aus. Ok, das wäre ja nicht das erste Mal, dass solche Gerüchte die Runde machten, aber irgendwie hat man gespürt, dass diesmal mehr dahinter steckte als irgendein Gelaber. Kurz zum Hintergrund (ha, kurz ist gut, ich könnte mich in hundert Seiten über den Scheiss aufregen):
 
Die Arnsberger Behörden, angeführt vom neuen Bürgermeister, versuchen gerade ein Exempel zu statuieren und versuchen den Drogenmissbrauch zu bekämpfen. Eigentlich ja ein edles Motiv, aber ein wenig Nachdenken könnte man hier doch erwarten, oder? Also versuchen Sie dem Cult-Betreiber die Konzession zu entziehen, weil angeblich in, an und rund um diese Location Drogen konsumiert und verkauft werden. Ungünstig für eine korrekte Argumentation sind natürlich die zahlreichen Goa-Partys, die da stattgefunden haben, wo wohl neben der beliebten Gesellschaftsdroge Alkohol auch andere Rauschmittel den Weg in die Bäuche oder Lunge und dann in die Schädel einiger Gäste fanden. Aber die Argumente der Behörden sind in meinen Augen definitiv nicht hieb und stichfest, denn man kann das Cult nicht schliessen, weil da mal ein böser Belzebub auf Speed rumlief. Das wäre so, als wolle man alle Telefongesellschaften dicht machen, weil man das Telefon für illegale Gespräche missbrauchen könnte. Wenn man mit dem selben Ehrgeiz andere Locations angehen würde, bekäme man ein noch viel heftigeres Ergebnis, mit der Konsequenz, dass es bald auf der ganzen Welt keine Clubs und Discotheken mehr gibt, weil es tatsächlich doch noch Leute gibt, die nicht glauben, dass Drogenkonsum in allen gesellschaftlichen Schichten, in jeder Kultur, und gewiss in jeder beschissenen "Tanzlokalität" vorkommt und neben dem Alkohol-Missbrauch eher ein bescheidenes Dasein fristet. Wir brauchen doch nur unsere Boulevardpresse aufschlagen und müssen feststellen, dass Fussball-Hoffnung Daum nun seinen Job an den Nagel hängen darf oder Konstantin Wecker seine Inspiration aus Kokain-Exzessen geholt hat.
 
So genug rumgekotzt. Fazit: totaler Dreck, was da gerade passiert, und es bleibt also nur zu hoffen, dass die coole, spontan ins Leben gerufene Unterschriftenaktion einige Verantwortliche wachrüttelt und das Daumendrücken nicht umsonst war... Naja, jedenfalls lässt sich hier die Motivation ableiten, die Lenz dazu bewegt hat, sich bei der Band "Tanzwut" einzuklinken und es hinzubiegen, dass man noch eine halbe Stunde Programm als Support spielen kann, um nochmal vor dem eventuellen gnadenlosem Ende dieses Clubs seinen Beitrag auf der Bühne dargebracht zu haben. Und so kam es, dass ich nach einem langen Arbeitstag nur wenige Kilometer fahren musste, um die Location zu erreichen. Irgendwie begleitete mich dabei ein seltsames Gefühl. Nach etwa 8 Jahren regelmässigen Partys und etlichen Konzerten mit V-LENZ, puppetland, TOS (oder KUNG, Victims for Terrordome, Som-A-Sault, etc - um noch mal etwas tiefer in den Werdegang einiger Team-Mitglieder zu blicken, die ich alle mehr oder weniger begleitet habe) war es irgendwie gar nicht so aufregend und spannend hier ein Konzert zu machen, weil man jede Ecke, jeden Winkel kannte... als würde man den Gig in seinem Wohnzimmer veranstalten. Natürlich kann der Auftritt auch, oder gerade erst recht hier total genial sein, aber, obwohl ich nicht einen einzigen Song von Tanzwut oder der anderen Band Weissglut kannte, beschlich mich eben dieses komische Gefühl, dass der heutige Abend jedenfalls nicht in die Hall of Fame der V-LENZ Konzertgeschichte eingehen wird. Einfach, weil so ziemlich niemand für V-LENZ da kommen würde, weil das für irgendeine Werbung viel zu kurzfristig war und ausserdem konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, dass Tanzwut hier scharenweise die Leute zieht.
 
Im Cult angekommen kam ich pünktlich zum V-LENZ Soundcheck. Mein erster Blick schweifte quer über die Bühne, die so dermassen mit den wildesten Ton-, Licht- und Instrumenten vollgestopft war, dass die Musiker etwa einen Quadratmeter Platz hatten. DeziBel zum Beispiel stand eingequetscht zwischen zwei gewaltigen Drum-Sets. Und mir war sofort klar, dass hier nicht die allerkleinste Chance bestand, die Pyro's abzufeuern. Shit. Da hatte ich mich schon den ganzen Tag drauf gefreut.
 
Seltsam war, dass ausgerechnet die Leute vom Cult, die die Theke klarmachten irgendwie naserümpfend sich über V-LENZ lustig zu machen schienen. Seltsam. Tanzwut hatte alles mitgebracht, komplette Ton- und Lichtanlage. Deswegen war da auch eben so wenig Platz auf der Bühne. Nach dem Check ging ich noch mal zusammen mit Lenz auf die Stage, um dann aber doch festzustellen, dass hier einfach keine Möglichkeit für die Pyro's ist. Weil Lenz zum ersten Mal "Gedankenspiele" live bringen wollte, musste er Maik T erstmal in die Tiefen des Refrains einweisen, weil er den Track ja noch nicht wirklich gehört hatte. Sah witzig aus, die beiden wippenden, sich gegenseitig Sprechgesang zuwerfenden Freaks. Später kickte Maik T noch mal einen Text im Backstageraum, der in die Geschichte eingehen wird als der coolste Anti-HipHop-Rap ever (ich weiss, es ist ein Widerspruch in sich, aber der Text ist so genial, dass mir die Schuhe wegfliegen - ich würde ihn am liebsten hier abtippen, wenn ich ihn genau kennen würde... also Maik, wenn du diese Perle der Lyrics veröffentlichen möchtest - Email an mich...) Auch die anderen Anwesenden zollten diesem Glanzstück Tribut und klopften Maik verbal auf die Schulter. Lenz zog mich beiseite und bat um Hilfe bei der Setlist. Wir waren uns relativ einig, dass dieses Set heute von heftigen, harten Songs bestimmt werden müsse, also waren Gottes Soldat und Schattenboxa schon mal raus. "Und warum haben wir dann die Darbuca (Trommel) gecheckt?" fragte Andree, der zu uns stiess. Tja, hmm. Kann schon mal vorkommen.
 
Dann kam der Schock am frühen Abend - der Eintritt für dieses Konzert beträgt DM 28,-! WIE BITTE? Wie gesagt, ich kannte weder Tanzwut, noch das potentielle Publikum hierfür, aber 28 Mücken waren doch sehr heftig meiner Meinung nach. Der hohe Preis hat garantiert auch einige Fans und Freunde abgeschreckt, die extra für V-LENZ gekommen waren. Seit 20 h war die Tür für Gäste geöffnet und die Leute strömten unerwartet scharenweise schon in den Saal, sodass um 21 h, als die Jungs die Bühne betraten, es gar nicht "scheisse leer" war, sondern eher "noch nicht ganz gefüllt". Vorherrschende Styling-Farbe war mal wieder - wen wunderts? -schwarz. Der Commander witterte seine Chance, weniger zu arbeiten - äh, sorry - sich mehr auf seine Aufgabe zu konzentrieren wollte ich sagen, als er bemerkte, dass ich heute kein Feuerwerk veranstaltete und rekrutierte mich mal wieder als DAT-Sklave. Na schön, mittlerweile habe ich mich ja fast daran gewöhnt. Kurz vor dem Set, aktualisierte Lenz nochmals die Liste und ersetzte "Gedankenspiele" mit "Schwarze Wünsche". War auch die richtige Wahl denke ich. Lenz betrat die Bühne und war ehrlich mit dem Publikum, als er den Grund des heutigen V-LENZ Auftrittes erklärte. Er hätte sich hier heute "reingedrängelt", um noch mal auf der legendären Bühne in einem legendären Club aufzutreten, bevor dieser vielleicht für alle Zeiten seine Pforten schliesst. Sie schmetterten "Apokalyptische Verse" und los gings. Der Lichtmann stellte irgendein Porno-Licht aus Lila und Orange ein, und machte sich aus dem Staub. Das heisst, während des ganzen V-LENZ Gigs war nicht ein Hauch von Lichtbewegung auf der Bühne, kein Nebel, kein Strobo, kein irgendwas. Dabei hatten die da so viel göttliches Lichtgeraffel aufgebaut, dass es richtig Spass hätte machen können. Lenz hatte den Kollegen auch vorher angesprochen, ob er auch für ihn Licht machen könne. Nach dem Stirnrunzeln, Naserümpfen und danach fragen, ob er denn auch dafür bezahlt werde, stellte Stefan ihn vor die Wahl, es für Lau zu machen, oder man würde sich halt jemand anderes suchen. Er willigte ein. Also was sollte dann diese Aktion? Einstellen und Abhauen. Warum hat nicht von Anfang an gesagt, dass er kein Bock drauf hat? Gut gemacht... Dankeschön...
 
Zum ersten Mal machte Lenz nicht die typische "Ich-fick-das-Publikum"- Bewegung beim Intro von Hauch des Todes. Was ist denn da los? Hmm, nicht nur ich fand das schon immer albern. Aber Lenz schien da bis dato richtig Spass dran zu haben. Da der VT1-Effekt nicht am Start war, musste Schwarzer irgendwas für die Vocals von Andree bei Mephistohaft improvisieren. Hat auch funktioniert. Was auch immer er gemacht hat, es hat sich böse angehört. DeziBel sah ziemlich lustlos aus hinter den Turntables und konnte das Ende kaum erwarten. Der letzte Song wurde endlich mal von Lenz angekündigt, aber als er erwähnte, dass es sich bei "Fahr zur Hölle" um ein Instrumental handelt, bei dem er auch mal die Fresse hält, wurden darauf Begeisterungsrufe vom Publikum laut... Davon aber ziemlich unbeeindruckt machte Lenz das Motto dieses Songs zum Programm und feierte wie ein Teufel auf der Bühne ab. Auch Andree und Maik T liessen nix anbrennen und tanzten wie verrückt geworden auf den paar Quadratzentimetern, die Ihnen zur Verfügung standen. Als ich mit dem abgebauten DAT-Player dann Richtung Backstage ging, sah ich noch, wie der sehr zufriedene Lenz auf einen abgerissenem Stück Papier Autogramme schreiben durfte/sollte. Auch Andree schien Spass gehabt zu haben und machte sich Backstage wieder frisch.
 
Nach dem ich ein paar Songs von Weissglut gehört hatte und die nicht unbedingt mein Geschmack trafen, sah ich DeziBel in einer Ecke rumgammeln und bot ihm wegen fehlender Fahrgelegenheit an, ihn nach Hause zu fahren, was wir auch nach einem kurzen Stopp bei einer bekannten Fast-Food-Kette dann gemacht haben. Lenz berichtete einen Tag später, die Show von von Tanzwut sei hitverdächtig gewesen. Die Licht-Show, die gewaltigen Trommeln und Dudelsack-Attacken wären nett anzuschauen gewesen. Obwohl ich ja eigentlich für eine gute Show immer etwas übrig habe, war ich froh, dass ich schon früh im Bett lag, da der darauffolgende Arbeitstag vollen Einsatz von mir verlangte.
 
Hmm, irgendwie schade. Irgendwie müsste ein Gig im Cult anders sein. Trotzdem drücken wir weiterhin die Daumen, dass die Arnsberger Behörden endlich aufwachen, oder in einer rechtlichen Sackgasse steckenbleiben, damit wir auch weiterhin da feiern können und gegebenenfalls nochmal ein Konzert da spielen, wie wir uns das vorstellen. Mit dem vollen Programm (hier waren es nur 30 Minuten), mit Pyrotechnik, mit korrekt abfeiernden Leuten, die für diesen Spass nicht sooooo tief in die Tasche greifen mussten. Und ich habe das Gefühl, dass so ein Konzert auch noch im Cult stattfinden wird.