JUZ, Leer
Mittwoch, 14. März 2001
 
Ein wenig Aufwind war zu spüren, zumindest hatte ich so ein Gefühl, dass mit der kommenden Serie von V-LENZ-Auftritten wieder was frisches passiert, als ich mich am Mittwochmorgen sammelte und mich mental auf den Tag vorbereitete. Erstmal legte sich die tags zuvor aufkommende Verwirrung, weil Lenz laut Routenplaner fest davon überzeugt war, bei der Location handle es sich hier um ein Jugendzentrum in Leer bei Münster. Durch ein wenig Recherche im Internet musste ich aber dann feststellen, dass es sich doch um das 300 km entfernte Leer in dem Land handelt, aus dem Otto Walkes kommt. Für diese Reise mussten wir also schonmal die Anzahl der Autos von zwei auf eines reduzieren, was uns aber mit einem massiven Problem mit dem Lenz'schen Tannenbaum konfrontierte, denn mit einem hinteren Achsbruch ist nun mal nicht zu spassen. Also musste ein Auto ran, das 5 Leute, die Turntables und das restliche Equipment zu transportieren vermochte - und keinen Achsbruch hatte. Klingt einfach, ist es aber nicht.
 
Nach langem Überlegen kamen wir auf den Ex-Puppetland-Bassisten Frank, der seineszeichens einen
VW-Sharan sein Eigen nennt (darf man das bei Leasing so sagen? Naja, egal). Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass der zur Verfügung stehen könnte, aber durch Lenz' Überredungscharme oder durch die Ultracoolheit von Frank (wahrscheinlich war es eine Kombination aus beidem) willigte er unter einer Bedingung ein - Earl fährt. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob es Ehre oder Arbeit für mich heissen sollte, aber ich entschloss mich für die Ehre. Frank weiss genau, dass ich als konsequenter Nein-Sager zu - sagen wir mal: reaktionsbeeinträchtigenden Gesellschaftsdrogen - immer einen klaren Kopf behalte und seinen Mini-Van sicher nach Hause steuern kann. Ich versuchte dieser Ehre gerecht zu werden und nahm mir vor, die Jungs bei jedem Brötchen-Krümel oder Snickerspapier zusammenzuscheissen, um Frank die Karre in einem einwandfreien Zustand zurückzugeben.
 
Das war aber gar nicht so einfach, denn als ich meinem Renault um etwa halb 12 gegen den Volkswagen in Wickede eintauschen wollte, waren mehr Krümel und Müll in dem Sharan, als wir fünf auf dieser Reise hätten fabrizieren können... Trotzdem setzte ich mir diese oberste Direktive und sorgte dafür, dass es etwas gemütlicher im Auto wird, als ich nach und nach die anderen einsammelte. Andree und DeziBel waren ziemlich fix am Start und nach einem kurzen Stopp an der Tanke waren dann auch Maik T und Lenz mit an Bord. Das klingt jetzt zwar, als wäre das alles ganz schnell gegangen, aber das "Musiker aufsammeln" hat fast genauso lange gedauert, wie die Fahrt an die ostfriesische Küste. Als Maik zustieg, bemerkte er frech "hier riechts aber nach Männern...", zauberte flink irgendein feminines Eau de Toilette hervor, besprühte sich damit gnadenlos und der Männer-Duft war flöten gegangen.
 
Der eklige Gestank von Maik's Frikadelle, die er kurz vor der Abreise in Bönen's Imbiss-Schmiede Nummer 1 "Zum Bremsklotz" erstanden hat (die Bude heisst wirklich so, kein Scheiss...) hielt sich viel zu lange im Auto, aber konnte nur von dem absoluten Highlight aller Autobahn-Raststätten-Sünden getoppt werden - die "Biker's Beisser Box". Ich wünschte, ich hätte mir gemerkt, welche Raststätte das war, um jeden vor dem übelsten Grauen, das jemals eine Metzgerei verlassen hat, warnen zu können... Und wie hätte es anders sein können - Maik "ich-zieh-mir-alles-rein" T legt tatsächlich ein paar Taler auf die Tanken-Theke, um sich diesen Prengel genüsslich einzuverleiben, der mehr weisse Fett-Flocken als rotes, rohes Fleisch hatte. Wir zuckten nach jedem Biss angewidert zusammen, aber er schien daran Gefallen zu finden. Nachdem der zum Navigator ernannte DeziBel genauso wenig aufgepasst hat wie ich, brausten wir erstmal pauschal an der richtigen Abfahrt vorbei und suchten uns den richtigen Weg über ein paar Landstrassen zusammen.
 
In Leer angekommen mussten wir uns nach dem Weg durchfragen und hielten ein paar 14-15jährige Mädels an einer Bushaltestelle prädestiniert dafür, das heimische Jugendzentrum zu kennen. Weit gefehlt, nicht nur, dass sie es wahrscheinlich sowieso nicht wussten, nein, das waren natürlich auch noch ausgerechnet 3 französische Mädchen, die der deutschen und der englischen Sprache nicht mächtig waren. Maik kramte aus seiner tiefsten Erinnerung eine passende französische Vokabel hervor und gestikulierte wild "for infants, for infants..." Die wussten natürlich gar nix damit anzufangen, war aber auch nicht weiter nötig, nachdem unser Blick einfach etwas umhergeschweift war, haben wir festgestellt, dass genau auf der anderen Strassenseite das gesuchte Jugendzentrum war, obwohl wir das eher am Blind Passengers Tourbus, als am JUZ selber erkannt hatten. Irgendwie war das nur ein leicht umgebautes Wohnhaus, nicht mehr und nicht weniger. Nach ausgiebiger Begrüssung der Blind Passengers kam die obligatorische Flaute vor dem Gig. Zuerst stand noch der Soundcheck der BP's auf dem Programm und erlaubte somit genügend Zeit für DeziBel und mich mit einem Spaziergang einen kurzen Blick auf die Stadt Leer zu werfen.
 
 
Die Schilder mit der Aufschrift "Uferpromenade" lockten mich schon ziemlich an, aber es hat nur für einen Gang durch die hiesige Fussgängerzone gereicht. Auf dem Rückweg klingelte Andree auf dem Mobil-Fon durch und informierte uns, dass da gleich Essensbestellung vom Italiener dran war. Die Aussicht auf eine dampfende Pizza liessen Ditze und mich wohl unbewusst einen Schritt schneller gehen, denn ruckzuck waren wir schon wieder da. Der Passengers Soundcheck war im vollen Gange und jeder, der dem selbigen kurz beigewohnt hatte, kam mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Backstageraum und berichtete von einer unglaublichen, noch nie erlebten Lautstärke. Auch Kruse fand sich in netter weiblicher Begleitung ein und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden jedes einzelnen. Um die Zeit zu überbrücken wurden dann diverse Kickerbegegnungen ausgefochten und der angrenzende Star Wars Flipper hatte leider keinen Strom... buuh!
 
Der gewohnt fixe Aufbau von V-LENZ verblüffte mal wieder alle Anwesenden und somit konnte der Soundcheck auch schnell über die Bühne gehen. Ich machte mich mit dem einzigen portablen DAT-Player, den die Welt je gesehen hatte, vertraut und hatte eine Menge Spass mit dem Mischer, als wir den kleinen eingebauten Lautsprecher "Monitörchen" tauften. Der Mann an den Reglern war überhaupt mal wieder einer von der luuschen, angenehmen Sorte. Keine Hektik verbreitend und immer so ein "wir machen das schon" auf den Lippen - so ist recht.
 
BP-Drummer Andy gesellte sich zu mir und wir philosophierten darüber, das DeziBel einfach der coolste DJ auf der ganzen Welt war, ist und immer bleiben wird. Schon beim ersten mal, als Andy Ditze live in Aktion erlebte, klebte sein Blick an ihm fest. Es macht einfach riesig viel Spass dem schlaksig wirkenden Typen da bei der Sache, die er am Besten kann, zuzuschauen und das wird jeder bestätigen, der ihn einmal live erlebt hat.
 
Der Duft von ein paar kulinarischen Menüs italienischer Küche lockten uns zurück in den Backstageraum, wo wir beim Essen mit einem Blick durchs Fenster feststellten, dass da schon eine Schlange Publikum vor Kälte bibbernd auf Einlass wartete. Maik kritzelte mit einem Edding einen Gruss an die hier bald auftretende Band "Letzte Instanz", aber musste doch von uns erst mal in seiner Schreibweise korrigiert werden, denn "luusch" mit nur einem u schreiben ist einfach nicht drin, T! Nach einer kurzen Verdauungsphase war dann Showtime. Lenz betrat die Bühne und begrüsste die Anwesenden mit einem kräftigen "Guten Abend". Äh... Totenstille... "Hallo, keine Antwort? Ist keiner da?" fragte Lenz ungeduldig in die Menge und erhielt dann doch Resonanz. Dann konnte es ja losgehen.
 
Unterstützt von der extremen Lautstärke war in den meisten Gesichtern ein "Wow, heftiger Bass" abzulesen und spätestens nach der dritten Nummer trennte sich mal wieder die Spreu vom Weizen. Vor Schwarze Wünsche musste Lenz' Shirt mal wieder dran glauben und die blanke Brust kam zum Vorschein. Ditze war mal ausnahmsweise extrem gut zu hören, was aber auch den Nachteil hatte, dass man leider ein, zwei Plattensprünge genau mitbekam, die sonst vielleicht nicht so sehr aufgefallen wären. In der Mitte des Sets stellte plötzlich der Lichtmann eine Einstellung ein und machte sich aus dem Staub...!? Lenz hat mir zwar nachher gesagt, dass es nicht anders vereinbart war, aber dennoch finde ich es schade, wenn solche Leute nicht mit einer entsprechenden Leidenschaft an die Sache rangehen, sondern nur soviel machen, wofür sie bezahlt werden. Schade.
 
Beim neuen Track "FFF" überliess Lenz die Interpretation dieser Abkürzung dem Publikum - der hatte bestimmt nicht mit so geistreichen Antworten wie "Flösse bauen" oder "Forensik besuchen" gerechnet. Ditze war sehr experimentell bei diesem Song, vielleicht lag es daran, dass er noch so neu ist. Als ich meinen Blick schweifen liess, fand ich Nik und Rudi von den Passengers groovender- und kopfnickenderweise zwischen den anderen Gästen. "Henker" wurde von Lenz angekündigt: "jetzt kommt ein Song, den es früher schonmal gab..." Hä? Was geht? Ich glaube, er wollte damit sagen, es handle sich hier um ein älteren Song, aber das konnte man auch falsch verstehen - ich tippe mal, das werden viele dann als Cover-Song interpretiert haben. Wie auch immer, die Bässe von Henker liessen jeden männlichen Hoden (und den einen oder anderen weiblichen Eierstock) vibrieren, wie nie zuvor. DeziBel hatte mal wieder eine aufsteigende Skillkurve während des ganzen Gigs und fand seinen ersten Höhepunkt in einem Kratzer, der so perfekt und schnell war, dass jedem DJ auf diesem Planeten der blanke Neid gepackt hätte. Irgendwie sah es optisch nicht ganz gelungen aus, DeziBel war da hinten links auf der Bühne so "abgestellt", denn auch wenn der Sound satt war, ging er optisch ein wenig unter da hinten. Naja, wieder ein Punkt, den wir das nächste mal besser machen können. 'Fahr zur Hölle' ging wieder obligatorisch an die Steine-in-den-Weg-Werfer EMI und Rolling Stone Magazine. Ditze wieder in Höchstform und Andree verlangte seinem Percussion-Set auch alles ab, so wie sich das gehört.
 
Alles in allem ein schöner Auftritt. Ich war stolz, keinen Fehler beim DAT-Bedienen gemacht zu haben und sammelte mein Zeug zusammen. Im Backstage sammelte sich die ganze erschöpfte Crew, Maik präsentierte stolz seine Bauchnabel-Fussel und Lenz versuchte der angeschlagenen Stimme von BP-Rayner mit Medikamenten vom legendären Dr. Renschler zu helfen. In der Umbaupause war das Kickerturnier - Part 2 - dran. Andree und ich gegen Daniel und Maik. Tja, Jungs, es tut mir leid, aber ich kann es der Welt nicht vorenthalten - 4 Spiele, 4 Siege. Noch Fragen?
 
Der BP-Gig brachte das ächzende alte Haus zum beben und war gewohnt gut. Anschliessend fanden Sie sich rekapitulierend im Backstage ein und diskutierten über den Gig, wie es jede Combo macht.
 
Ein wenig Sorgen machte uns der hoffentlich nicht suizidgefährdete Groupie von den BP's, die sich als Radio-Presse-Irgendwas-Redakteurin Zutritt zum Backstage-Raum verschaffte und mit Ihrer Freundin nicht genug Fotos und Autogramme von den Musikern bekommen konnte. Sie fand wohl am meisten Zugang zu Gitarrist Rudi und erklärte mit zitternder Stimme "keiner will mich haben..." - "Oooch, Kopf hoch!", versuchte der zu trösten, und ich möchte wirklich hoffen, dass seine Worte etwas bewirkt haben, denn die Kleine sah schon ganz schön fertig aus. Jedenfalls waren die schonmal ganz glücklich über die signierten Plakate ("wir wollen die im Radio verlosen" - ich wette, die tapezieren damit ihre eigene Bude), auch wenn Drummer Andy mit einem schwarzen Edding gnadenlos über die schwarzen Teile des Plakates unterschrieb und somit davon gar nichts zu sehen war...
 
Während T sich die letzten Essensreste aus den Zähnen pulte, wartete der Rest auf Lenz, der sich irgendein neues Material für Remix-Geschichten anhörte. Ausserdem bedauerte jeder das ganze Team: "Echt, ihr fahrt jetzt noch nach Hause? Heftig, ihr seid doch alle total im Arsch..." - Äh, ich fahre. Nicht die anderen. Ich darf gleich Koffein in meine Adern pumpen und Streichhölzer zwischen meine Augenlider klemmen. Der rote Bulle aus Österreich tat sein übriges und geleitete uns sicher nach Hause. Auf dem Weg war noch ein Stopp bei einer Raststätte - die zu war. Zu. "Geschlossen" stand da auf einem Schild. Das hatte ich zuvor noch nie erlebt. Wenigstens waren die Toiletten geöffnet und luden uns zur kollektiven Pinkelpause ein. Nur das Händewaschen gestaltete sich im Hightechzeitalter schwieriger als erwartet. Da waren so heftige Lichtschranken unter den Wasserhähnen,die bei einer Handbewegung in der Nähe das kühle Nass freigaben - aber nicht für den Lenz. Der stand laut fluchend da, kämpfte mit der Technologie und wünschte sich nichts mehr als einen Old-School-Drehknauf. Zu seinem Entsetzen spuckte das Ding auch sofort Wasser aus, als Ditze oder ich den Versuch an seinem Hahn machten. Schlussendlich musste aber auch Lenz nicht mit siffigen Händen nach Hause kommen. Zum Glück konnte Maik T hier nicht so eine eklige Wurst erstehen, wie auf der Hinfahrt. Aber da war ja noch seine Bremsklotz-Frikadelle von der Hinfahrt! Juchu! Igitt...