Matrix, Bochum
Donnerstag, 15. März 2001
 
Nahtlos geht die Geschichte von gestern (Gig in Leer) in diese über, denn nach der nächtlichen Heimreise und der Ankunft um ca. 4:30 h früh bimmelte mich der Postbote ohne Gnade aus dem Bett. Von wegen "wenn der Postmann zweimal klingelt..." - ha, der eifrige Vogel hatte Sex mit meiner Türklingel! Aber ich hatte es ja auch nicht anders gewollt, denn in weiser Voraussicht klebte ich eine Notiz an meinen Briefkasten mit der Aufschrift "Bei Express-Lieferung bitte mehrmals klingeln", damit ich auch definitiv den Kollegen in Gelb antreffe und nicht verschlafe. Nach der obligatorischen Unterzeichnungs-Aktion und einen-schönen-guten-Tag-noch-Wünschung, riss ich mit derben Halsschmerzen und verklebten Augen das fette Paket auf und hatte es vor mir - das neue V-LENZ-Merchandise.Hunderte T-Shirts in allen Grössen und mit zwei netten Motiven lagen da vor mir und sorgten für ein wohliges Gefühl im Bauch. Da hat Philipp von Betty Industries ganze Arbeit geleistet, der Druck war sauber und die Shirts sahen wirklich gut aus.
 
Keine zwei Minuten später tauchte ich wieder in eine Tiefschlafphase ein, die ich auch bitter nötig hatte. Das nächste woran ich mich erinnern kann ist, dass ich aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen von Rammstein geträumt habe und im selben Augenblick von meinem Radiowecker durch Rammstein geweckt wurde... "Hierrrr kommt die Sonnnne...!" brüllte der, was ich aber nach dem ersten ungläubigen Blick aus dem Fenster nicht bestätigen konnte. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten sass ich dann wieder in Frank's Sharan, mit dem wir ja gestern schon nach Ostfriesland gefahren waren, auf dem Weg die anderen abzuholen. Kaum unterwegs, wär mir vor der Haustür von Maik T fast der Kragen geplatzt. Rucksack noch am packen, Kaffee aussaufen, Zähneputzen oder kacken wären so ein paar Beispiele, die ich ja noch tolerieren würde für Verzögerungen, aber der Freak war einfach nicht da zum vereinbarten Zeitraum. Maik ist ausserdem der einzige Musiker auf diesem Planeten, der kein Handy hat. Nach etlichen Telefonversuchen bei ihm, bei seiner Freundin, beim Arbeitsplatz seiner Freundin und was mir und Lenz sonst noch so eingefallen ist, war ich kurz davor abzuhauen, nachdem ich eine halbe Stunde da in der Kälte gestanden und rumtelefoniert habe. Im letzten Moment bog ein schnittiger Corsa um die Ecke und T blinzelte verwirrt heraus: "Hatten wir echt viertel vor gesagt? Nicht viertel nach?" - Grpmf... Nein, wir hatten viertel vor gesagt. Ich nutze die Zeit, die T brauchte, um seine Sachen zusammen zu suchen, indem ich nochmal den Sharan nach Müll absuchte und gegebenenfalls denselbigen eliminierte.
 
 
Lenz rief noch mal kurz durch und erklärte, dass DeziBel selber fährt und somit nicht von mir abgeholt werden musste. Wir gabelten das Geburtstagskind Andree auf (oops, habe ich da gerade etwa verraten, wann Andree Geburtstag hat und gebe somit quasi allen weiblichen Fans die Gelegenheit ihm per Mail - die Email-Anschrift findet ihr unter "Team" - zu gratulieren...? oops...) und begrüssten ihn mit einem Ständchen in Zeitraffer. Auf dem weiteren Weg musste ich Maik endlich mal die Gelegenheit geben, die neue Depeche Mode ins Tape zu schmeissen und machte ihn somit glücklich. Nächster Halt war bei Frank, wo wir den Sharan mit einem weinenden Auge abgeben mussten (geniales Auto!!!), in meinen Renault umstiegen und Maik mein Auto fast mit seiner lodernden Kippe in Brand gesteckt hätte *Blutdruck stieg gefährlich an*.
 
Der nächste Wagenwechsel war bei Lenz auf dem Programm, weil Ditze's Turntables in kein normales Auto reinpassen und somit mussten wir es mit dem Achsbruch-behinderten Tannenbaum vom Lenz versuchen. Fieses Quietschen und Klappern war da in jeder Rechtskurve zu hören, aber dank der Hydraulik-Geschichte eines jeden Citroen's konnte Lenz das irgendwie kompensieren. Auf der Fahrt wurde plötzlich eine seltsame Diskussion angestossen. Maik erklärte, dass er langfristig nicht mehr als Mann auf der Bühne für V-LENZ zur Verfügung stehen wird. Nach einigem Hin und Her und klären wieso weshalb warum, musste man sich ja schliesslich damit abfinden und einigte sich darauf, heute dafür extra kräftig abzurocken.  In Bochum eingetroffen fanden wir eine höllisch geniale Location vor - (der, die?) das Matrix. Wie ein Industrie-Bunker sah das Ding von aussen aus. Ein gewaltiges "M" prangte als Logo auf der zur Strasse gerichteten Seite. Sehr verschachtelt, auf diversen Etagen fand man hier viele nette Details, die es schaurig und gemütlich zugleich machten. Der Konzertraum war gross, geil und erinnerte uns ein wenig an den Rittersaal in der Arnsberger Ruine, in der wir mal vor langer Zeit ein Video zu 'Henker' gedreht hatten. Der Blind Passengers Soundcheck war wohl schon fertig so weit und der futuristische Kram von denen wirkte sehr gut auf dieser Bühne. Wir trafen die BP's in einem amtlichen Backstage Raum - viel Platz (war mal ne Kegelbahn), zwei grosse Kühlschränke, viel zu essen - Kompliment an die Matrix-Macher. So fühlt man sich wohl. Diese Professionalität war allerdings in dem Backstage- Bewacher-Sicherheits-Offizier etwas übertrieben, der ohne gültigen Backstage-Ausweis keinen Eintritt gewährte und beinahe Rudi und Andy nicht reingelassen hätte, wenn wir nicht kollektiv auf den Sheriff eingeredet hätten. Der war danach fast am Ende und versuchte sich mit "ich mach doch hier auch nur meinen Job..." zu rechtfertigen. Ich hätte ihn ja am liebsten wieder aufgebaut und gut zugesprochen, aber aufgrund von Zeitmangels war das nicht möglich.
 
Ich musste nämlich noch vor Doors Open das funkelnigelnagelneue V-LENZ-Merchandise aufhängen. Der groovige Merch-Mann von den BP's erklärte sich korrekterweise dazu bereit, unseren Stuff mitzuverkaufen. Also hingen wir die Shirts in Sichtweite auf und positionierten den ein oder anderen Strahler auf die Textilien, damit sie auch ja ins Auge und anschliessend über die Schultern der Fans fallen.
 
Anschliessend musste ich fix an den portablen DAT-Player mit "Monitörchen" und die Tapes zurecht spulen, weil heute sogar 4 Tape-Wechsel bei nur acht Songs auf dem Programm waren... also Lenz, nur weil ich mittlerweile der kühnste DAT-Bediener dieses Planeten bin, müssen wir uns das Leben nicht unnötig schwer machen, oder? Eins reicht theoretisch auch. Eigentlich. Die Leute kamen langsam aber stetig rein und wurden mit dem seltsamen Film konfrontiert, der da auf eine Leinwand vor der Bühne projeziert wurde - ich kann gar nicht sagen, worum es da eigentlich ging, weil ich nicht wirklich zugeschaut habe, ich weiss nur, dass da wohl die Ostdeutsche und Berliner Heftig-Musik-Szene beleuchtet wird, oder so. Die Anwes enden schienen aber mit der gleichen Aufmerksamkeit den Streifen zu verfolgen, wie ich - also gar nicht. Daher hat Nik auch zu gegebener Zeit das ganze abgebrochen und schickte somit V-LENZ auf die Bühne. Die Halle war viel zu gross um voll zu werden, also versammelten sich die Gäste im vorderen Drittel zwischen Stage und Mischer um die 'Apokalyptischen Verse' ganz genau mitzukriegen. Dieses Mal war Lenz strophenmässig so verwirrt, dass es eigentlich jeder Nicht-V-LENZ-Kenner mitbekommen haben muss. Aber es tat der Stimmung nicht weh. Die letzten Nachzügler lockte Lenz dann mit dem Hinweis, dass direkt neben der Bühne auch noch ne Theke war - hat funktioniert - traurigerweise...*kopfschüttel*.
 
Bei 'Mephistohaft' ballerte der Mischer irgendeinen coolen Effekt auf Andree's Vocals, kam zwar nicht an den BOSS VT-1 ran, aber hörte sich trotzdem ganz nett an. Dann fiel mir plötzlich auf, dass da lichtmässig sich ja etwas regte auf der Bühne. Der lokale Lichtmann hatte Spass und definitv Talent, das sah gut aus, was der da machte. Und die Nebelschwaden war man schon fast nicht mehr gewohnt bei einer V-LENZ-Show. Wegen 'Hauch des Todes' kam die Mega-DAT-Tape-Wechsel-Aktion und dafür war auch nicht viel Zeit, hat aber aber alles noch irgendwie hingehauen. Ein paar Gäste, die V-LENZ offensichtlich kannten, riefen "Henker, Henker", andere "Feuer" und wieder andere (die V-LENZ offensichtlich nicht kannten) "aufhören!". Dafür musste Lenz sich wieder prompt entblößen. Er betonte den Refrain von 'Schwarze Wünsche' und schlug bei jedem "...gefangen in mir!" auf seine Bauchdecke, wobei im gleissenden Licht die Millionen Schweisstropfen zu sehen waren, die im hohen Bogen in alle Himmelsrichtungen flogen als die Hand aufs Zwergfell traf. Netter Effekt, hätte man ein gutes Ausnahme- Foto von schiessen können. Lenz kündigte die nächste Nummer an: "dieser Song geht an alle Dorf-Elsen auf Speed. Früher war das 'Fahr zur Hölle' aber jetzt haben wir einen neuen..." Es war eine Mischung aus Fragezeichen und Amüsement in meinem Gesicht, aber Lenz überraschte halt immer mal wieder mit geistreichen Sprüchen. Mit seinem Versuch 'Rocken lassen' optisch zu unterstützen, hätte Maik jeden Luft-Gittarren-Poser-Contest (äh, hier wohl eher Luft-Bass) mit Abstand gewonnen. Er ist und bleibt halt ein Bassist. Durch und durch. Bei DeziBel war wie gestern in Leer auch ein steigende Laune- und Technik-Kurve zu erkennen und plötzlich war da wieder ein fotoreifes Szenenbild, als Lenz haarloser Kopf in einem hellroten Lichtstrahl witzig glänzte. Bei 'Henker' tauchte wie immer dieses geniale Schwert- klingen-Sampel auf und im Zusammenhang mit Worten wie Schafott, Klinge, 'Kopf liegt mir zu Füssen' bekommt der Song automatisch so ein gewisses Feeling, was Andree und Maik spontan in einer theaterreifen Köpfungsszene nachgespielt haben. Wie ein geölter Blitz waren die wieder an ihrem Mikroständer um den Refrain stimmkräftig dem Publikum entgegen zu werfen. Dabei war Ditze's Geschwindigkeit beim Kratzen nur noch durch einen Sprung auf der Platte zu stoppen. Das Motto von 'Fahr zur Hölle' war wie immer "durchdrehen" - was zusammen mit der genialen Lichtshow nicht sonderlich schwer fiel, während Andree seine Trommeln attackierte und das Crash-Becken keineswegs schonte. Der Song mündete in einem gewaltigen Strobo-Finale und begeisterten Applaus der Fans, sodass die Jungs durchaus zufrieden die Bühne verlassen konnten. In solchen Momenten wünsche ich wieder mal eine Pyro-Abschussbedienung in der Hand, um die Show mit Feuer und Krach zu unterstützen. Ich kramte die Tapes und den DAT-Player zusammen und verstaute sie im Backstage, wo ich auf die anderen traf und erstmal nicht zu knapp Lob und Schulterklopfer verteilte.
 
Ich genoss noch ein paar Songs von den Blind Passengers und sah Lenz mit auf der Bühne bei "Get on" abrocken, bevor ich mit dem Merchandise-Mann zum Ende der Show die Abrechnung machte und die Shirts und CD's sicherte. Auf dem Rückweg in den Backstage-Raum wurde ich von Lenz abgefangen, der gerade von zwei Presse-Mädels interviewt wurde und ich sollte mich doch einfach mal dazu setzen, weil die unter anderem auch für das lokale groovige Skateboard-Magazin 'Boardstein' schreiben. Lenz steckte mich mal eben in die Hall of Fame der deutschen Skateboarder, was ich erst als ein wenig übertrieben stoppen wollte, aber dann doch eher witzig fand und mir gefallen liess. Wir sprachen kurz darüber, dass ich seit ca. 15 Jahren diesem Hobby fröhne, bla bla, kurz gab es da auch nen Sponsorship, bla und so weiter. Danach sind wir aber schnell wieder vom Thema Skateboarding abgewichen, aber Musik stand dann auch nicht wirklich auf dem Programm, denn die Mädels erfreuten sich eher an irgendwelchen Gemeinsamkeiten mit Lenz wie: "du bist auch auf der Ruhr-Uni eingeschrieben? Krass!" oder "Bönen? Heftig, ich komme aus Unna...!". Das lockerte das Gespräch genial auf, aber um hier noch mal in der Tiefe auf V-LENZ einzugehen, dazu fehlte einfach die Zeit. Lenz wollte die Email-Adressen der Frauen in den Newsletter-Verteiler aufnehmen, was aber schwer ohne Stift geht. Ich zauberte mit einer lässigen Handbewegung meinen Kulli hervor und bot ihn an. Normal.
 
Danach wollte Lenz das Interview beschleunigen, weil er ja noch die Abrechnung mit dem BP-Merch-Mann machen müsste, bevor der nicht mehr greifbar oder betrunken ist, aber ich legte die Kohle vor seine Nase und signalisierte damit, dass es schon erledigt sei. Erstaunt und dankbar wollte der aber dann doch aufstehen und ein V-LENZ Album für die Presse-Girls holen und schaute noch verwirrter, als ich eins kommentarlos grinsend auf den Tisch legte. Grosse Augen bekam der und hätte mich am liebsten an Ort und Stelle als Held der Nation ausgelobt. Genug der Ehre. Die Sicherheitsoffiziere des Ladens wollten alle letzten Gästen so langsam aus dem Laden raus haben und forderten die weiblichen Journalisten auf, doch zum Ende zu kommen. Ditze war schon mit Freundin wieder auf dem Heimweg und wir chillten noch ausgiebig mit den Blind Passengers im Backstage. Die waren allerdings nicht so gut drauf, weil die wegen krankheitsbedingten Problemem mit Rayner's Stimme ihren Gig vorzeitig abbrechen mussten. Vor der Abfahrt konnte ich es mir ja nicht nehmen lassen, dem Lichtmann für seine nette Show zu danken. Er berichtete, er kenne die Songs und hat Spass daran. Daumen hoch, ganz weit vorne der Kollege.
 
Nach Beladung des Tannenbaums setzte ich mich ans Steuer wegen ausgiebigen Alkoholgenusses der anderen und liess auf der Rückfahrt noch wohlwollend ein paar Lobeshymnen von Lenz über mich ergehen, der mehr als einmal erwähnte, dass ihm gut gefallen hat, was ich für einen Job in den letzten beiden Tagen abgeliefert hatte. Mit stolz geschwollener Brust steuerte ich den kaputten Tannenbaum gen Heimat und schaute erwartungsvoll auf die nächsten Gigs. "Get on, you've got the force"...