Grosse Freiheit, Hamburg, Kaiserkeller
Sonntag, 8. April 2001
Ist es nicht scheisse an seinem Geburtstag morgens durch seinen Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden und nicht ausschlafen zu können? Aber das relativiert sich, wenn das Motiv ein netter Gig in der Hansestadt Hamburg ist. Nach der typischen Morgenmuffeligkeit machten meine bessere Hälfte Jennifer und ich uns klar, denn nach mexikanischer Zeitrechnung war Andree mit dem abgeholten Sharan von Frank (der kriegt hier auch noch mal ein dickes Dankeschön vom Team) relativ pünktlich da. Bei DeziBel angekommen, bot ich an, ihn rauszuklingeln, was sich aber als extrem trottelig herausstellte, weil ich dann ja auch schliesslich das tonnenschwere Turntable-Case runterschleppen durfte. Ja mann, ich weiss, ich hör ja schon auf rumzumemmen. Nachdem wir dann noch Lenz aufgesammelt hatten, waren erstmal die reichlich belegten Fladenbrote fällig, die ich als Frühstück vorbereitet hatte.
Ich bemerkte den furchtbar ekligen Stoff, aus dem Lenz' Hose gefertigt wurde, aber er schien den wirklich geil zu finden. Scherzhaft erzählte ich, ich hätte eine Boxershort aus diesem Material, darauf Lenz augenbrauenhochziehend: "Ich auch..." - oh mann, igitt, ich hab ein Witz gemacht! Und das schlimmste ist - Lenz nicht! *schüttel* Nachdem er rausgefunden hat, wie man die Sitze in eine angenehmere Position bringen kann stellte Lenz fest, dass ihm für eine entspannte Fahrt nur noch zwei Sachen fehlen - Bier und ne Bifi. Aber der nächste Rastplatz war ausgerechnet der einzige mit nem Pizza-Hut, der uns je auf den Bahnen begegnet ist. Also stand das leckere flache italienische National-Gericht auf dem Programm, obwohl hier ist es ja eher amerikanisch. Wie auch immer, ich finde die Pizzen da eigentlich immer ganz lecker, aber diese Meinung konnte DeziBel nicht teilen. Nach zaghaften Versuchen und verzogener Miene gab er das Ding für die Öffentlichkeit frei.
In Hamburg angekommen war erst gar nicht so einfach DAS Viertel zu finden, aber ein paar versteckte Schilder leiteten uns schliesslich doch in Richtung Reeperbahn und Co. Die Veranstalter in Hamburg konnten ihre Uhren nach unserer Ankunft stellen, denn selten waren wir so pünktlich an der Location wie hier in Hamburg zwischen Dollhouse, Grünspan und diverser Sexspielzeug-Bedarfsläden. Draussen vor der Tür begegnete uns bereits der blinde Passagier Andy, der uns den genauen Weg zum Hintertürchen beschreiben konnte. Lenz und ich sondierten die Lage, begrüssten kurz die Passengers und die Veranstalter und liefen wieder raus, um den Rest und das Equipment zu holen. Der Laden "Kaiserkeller" gehört zum extrem heftigen Club "Grosse Freiheit", der je nach Bedarf auch verschieden grosse Hallen für Konzerte und Partys zur Verfügung hat. Aber die Grösse des Kellers war dieser Veranstaltung schon angemessen. Als wir unser Zeug reintrugen, erzählte uns einer der Techniker, dass hier vor 40 Jahren schon die Beatles aufgetreten wären, was mich vor Ehrfurcht ja beinahe in die Knie hat gehen lassen und im nachhinein habe ich sogar ein Plakat davon gesehen (31 Juli 1960 - Respekt!). Jedenfalls hatten die im Backstage auch noch einen Rahmen hängen mit allen aufgetretenen Künstlern der letzten 15 Jahre. Auch Ice-Cube und LL Cool J haben diese Bühne gerockt, was uns voller Ehrfurcht eine leichte Gänsehaut verpasste.
Der Backstage-Raum für V-LENZ war klein, bot aber alles, was so ein Raum erfüllen muss - gemütliche Sitzgelegenheit und gekühlte Getränke. Die Beleuchtung in diesem Zimmerchen bestand lediglich aus ein paar Punkt-Strahlern, die abgelenkt von einer spiegelnden CD-Rückseite einen unglaublichen Regenbogen auf Lenz' haarlosen Kopf projezierten - hach, war das schön! Der alte Merchandise-Mann stellte uns den neuen T-Shirt-und-CD-Verkäufer vor, als Lenz und ich unseren Kram dort hinbrachten. Eigentlich war der ja der BP-hauseigene "Schweisser". Jawohl, richtig gelesen. Der schweisst die abgefahrene Bühnendeko für die BP's zusammen. Soweit alles geklärt - also konnte der Soundcheck im wahrsten Sinne des Wortes "über die Bühne gehen". Und wieder mal waren die Techniker begeistert, wie unkompliziert und schnell das ganze wieder abgefertigt war. Der totale Ur-Rocker (ZZ-Top-Bart, Lederweste, etc) lächelte freundlich und bemerkte zwischendurch: "Hmm, langsam fange ich an, diese unkomplizierten Turntable-Bands zu mögen..."!
Auf der Suche nach dem Catering haben DeziBel, Jenny und ich uns erstmal gnadenlos in dem riesigen Laden labyrinth-mässig verlaufen. Endlich angekommen fanden wir zwar ein liebevoll zubereitetes Nudelgericht vor, was nach Andree's Aussagen auch sehr gut sei, aber das tote Tier darin veranlasste mich (Vegetarier), eine Alternative zu wählen. Was aber auch gar nicht so einfach war, denn die Auswahl war sehr begrenzt. Also musste ein trockenes Brötchen, ein wenig Gurkensalat und ein Schokoriegel meinen hungrigen Magen befriedigen. Witzig war auch der verwirrte Lichteffekt, der wohl eigentlich soundgesteuert sein sollte, aber wohl doch eher vibrationsgesteuert war. Denn der rührte sich nur, wenn die schwere Stahltür bei jedem Rein- bzw Rauslaufen seismisch ins Schloss fiel und jeder Versuch, den bunten Erheiterer mit einem Geräusch, Klatschen, oder sinnlosem Anbrüllen auszulösen schlugen hoffnungslos fehl. Seltsame Technik. Im Hintergrund führten ein paar Kollegen von einem lokalen Fernsehsender ein Interview mit Rudi und Nik von den Blind Passengers und später nahmen die auch Kontakt mit Lenz auf und stellten eine mögliche Zusammenarbeit für die nächste Show in Kiel in Aussicht. Als wir wieder zurück kamen mussten wir feststellen, dass wir doch glatt die erste Band - Engine 11 - gänzlich verpasst haben und nun ja auch bereits Showtime war. Ich begab mich brav zum DAT-Player und wartete ab, bis die Jungs auf der Bühne waren und leutete mit Apokalyptische Verse die Show ein. Der alte Passengers Merch-Mann hatte für uns Licht gemacht und sparte auch nicht mit Nebel - so ist recht.
Nach der ersten Nummer versuchte Lenz die Anwesenden mit "Bewegt Euren faulen Ärsche...!"vor die Bühne zu locken, aber kein Arsch geriet in Bewegung. Andree versuchte auf der Bühne den ersten Gast zu fokussieren, den er sehen konnte und liess auch den ganzen Song lang bei Hauch des Todes dessen Auge garantiert nicht trocken werden. Lenz versuchte die Crowd aus der Reserve zu locken: "Ist Hamburg noch daaa?" Schwarze Wünsche kam wieder extrem basslastig daher und das war wieder extrem nett anzuhören und zu fühlen. Erst recht durch DeziBel's perfekten Kratzer "Callin me a sucker", genauso wie seine Doppler, die er ja wieder bringt, seit Maik T nicht mehr dabei ist. Ok, ok, so langsam war abzusehen, dass hier und heute bei dem V-LENZ Konzert nicht mehr der Fisch fliegt und so lud Lenz die Leute zu "Mephistohaft" ein, denn es sei ein Song zum Chillen... oder... oder zum Bier trinken. Denn das war genau das, was sie eh schon machten. "Ihr könnt auch Eure Hocker mit nach vorne bringen...". Etwas verwirrt setzte Lenz die erste Strophe einen Takt zu früh an, korrigierte das aber wieder fix. "Teufelsliebe" setze bass-technisch noch einen oben drauf und liess definitiv die Gläser im Regal erschüttern. Das Motto von "Rocken lassen" war wieder durchdrehen und feiern - auch wenn Lenz die Strophen durcheinandergewürfelt hat und Ditze äusserst amüsante Fratzen bei seinen Vocal-Doppler-Parts zog. Vor "Henker" musste Lenz dem Publikum von seinem John Sinclair Grusel Roman erzählen, den er auf der Hinfahrt gelesen hatte - mit dem sinnigen Titel: "Der Henker vom Hamurger Dungeon" - also mussten die anwesenden Hamburger doch eigentlich sofort eine Beziehung zu diesem aufbauen können, oder? Jenny fiel auf, dass Andree's Stageacting in erster Linie aus einem sehr seltsam aussehenden Ducken bestand, dass an das Balzverhalten einer Bachstelze erinnert. Ist mir zwar nie so richtig aufgefallen, aber ich musste ihr recht geben. Dieser Riese macht sich dadurch automatisch so komisch klein, dabei könnte er fiel imposanter wirken... (Nicht falsch verstehen, Andree). Mitten im Set tauchte plötzlich unser alter Kumpel Henning auf, der ursprünglich aus der heimischen Musikszene kommt, aber nun als Ton-Mann und Veranstalter in der Hansestadt arbeitet. Beim letzten Track "Fahr zur Hölle" war natürlich wieder total Durchdrehung angesagt. Ein gewaltiges Strobogewitter untermalte einen unmenschlichen Schrei aus Lenz' Kehle, bevor er am Ende auf der Bühne umkippte und solange liegen blieb, bis der letzte Applaus verhallt war. Bevor die Jungs dann Richtung Backstage verschwanden, erwähnte Lenz noch kurz das Merchandise und die Website. Ich schnappte mir die Tape's und den DAT-Recorder und gesellte mich zu den schwitzenden und stinkenden V-LENZern im Backstage, die mit Deo und frischen Klamotten das schlimmste zu bekämpfen versuchten. Kaum hat man richtig tief im Backstage-Sessel gesessen, hörte man schon die ersten Klänge von den Blind Passengers, die ich ja auch noch mal ganz gerne sehen wollte. Ich gesellte mich also zu meiner Freundin in die Nähe vom Mischer (Sound und Sicht gut) und genoss die schweren Sounds der Berliner. Ah, und siehe da, die Leute konnten ja plötzlich doch vor die Bühne gehen (grmpf). Noch während des Sets von den Passengers trugen wir das Equipment über die zugepisste Hinterhoftreppe hoch zum Auto. Als ich die Shirts wegbrachte fiel mir auf, dass ich einen derben Fehler gemacht hatte und wollte eigentlich vor Pein im Boden versinken. Ich hatte den Merchandise-Kram beim Merch-Mann abgegeben, aber ihm gar nicht mitgeteilt, zu welchem Preis er die Sachen überhaupt verkaufen soll. Lenz sagte mir, er hätte das nachträglich gemacht, aber auch die Tatsache, dass der Merch-Mann ja eigentlich mal hätte fragen müssen, was das Zeug kostet, tröstet nicht über die Tatsache hinweg, dass ich hier beschissenen Fehler gemacht habe, der mir auch ziemlich peinlich ist. Ok, ok, ich weine mich jetzt nicht nächtelang in den Schlaf deswegen, aber das hat mal wieder gezeigt, dass ich auch nicht jeden Abend einen perfekten Job abliefern kann, wie beim Gig in Bochum zuvor. Aber man kann es ja zumindest anstreben. Werd ich auch, Ehrenwort. Eigentlich schreit so ein Auftritt in einer solch weiten Entfernung von zuhause ja nach einer erholsamen Übernachtung vor Ort, aber aus organisatorischen und Kostengründen war das hier nicht möglich. Also teilten DeziBel und ich uns die weite Strecke von der Hansestadt nach Hause, wobei der gemütliche und locker zu fahrende Sharan von Frank uns sicher und schnell nach Hause brachte. Trotzdem war die Ankunftszeit unchristlich und mit dem Sonnenaufgang ins Bett gehen ist immer übel. Gute Nacht.